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Totenwall

Titel: Totenwall
Autoren: Boris Meyn
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die warmen Monate über her.
    «Ich auch nicht. Aber er wird Bilder verkauft haben. Wir können fragen …» Bizini hatte bis auf die hiesige Hütte keine andere Bleibe. Er besaß dafür eine dauerhafte Unterkunft auf dem Berg in Ascona, womit er die Künstlerkolonie auf dem Monte Verità meinte. Sein Zimmer in einer Wohngemeinschaft hatte er für diesen Sommer anderen zur Verfügung gestellt.
    «Wie lange sind Sie bereits hier?», fragte Andresen in Richtung Bizini. Er schielte zu den Schuldwassers, die mehr oder weniger nackt neben ihm saßen. Sie hatten sich nur ein Tuch um die Hüften gebunden, wie Mauro Bizini auch. Ortmanus war der Einzige, der völlig nackt war. Er hockte im Schneidersitz vor ihnen und hatte die Augen geschlossen, summte irgendeine Melodie und wartete auf den Sonnenaufgang. Es dämmerte bereits.
    «Seit einem Monat», erklärte Bizini. «Ein wundervoller Ort.»
    «Werden seither irgendwelche Personen vermisst, vielleicht junge Frauen, die sonst regelmäßig kamen und plötzlich verschwunden sind?»
    «Sie kommen und sie gehen», flüsterte Ortmanus. «Sie kommen wieder, vielleicht in anderer Gestalt. Reinkarnation ist ein endloser Prozess.»
    Andresen warf Sören einen hilfesuchenden Blick zu. Sören schüttelte den Kopf. Seine Mimik besagte, dass Andresen besser nicht nachfragen sollte.
    «Die Gruppe hier besteht zum größten Teil aus Tagesbesuchern», sagte Bizini. «Man kennt sich oder auch nicht. Von einem Verschwinden bestimmter Personen ist mir nichts bekannt.»
    «Wir brauchen die Liste aller Mitglieder des Vereins.»
    Ortmanus blickte Andresen durchdringend an. «Was sind Namen! Wer gibt uns Namen?»
    Andresen war verwirrt. «Bitte?»
    Ortmanus erhob sich langsam. Es schien, als schwebe er aus dem Lotussitz empor. Dann nickte er stumm und ging zu seiner Hütte. Einer der Berittenen begleitete ihn.
    «Wir werden hier am kommenden Sonntag auftauchen», sagte Andresen. «Ich bitte Sie, bis dahin kein Wort über unseren Besuch zu verlieren. Anderenfalls sehe ich mich genötigt, den Betrieb hier schließen zu lassen. Dauerhaft. Was kein Problem sein sollte.»
    Sören stellte sich bereits vor, wie sich Polizeihauptmann Heinrich Andresen mit seinen Mannen inkognito unter die Nackten mischte, und er konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen. Wie es schien, stand der Hauptmann natürlicher Nacktheit alles andere als entspannt gegenüber. Wäre er kein Civiler, würde er womöglich nackt mit Pickelhaube anrücken. Die Vorstellung belustigte ihn.
    Ortmanus kam mit einem Papier zurück, den berittenen Preußen im Schlepptau.
    Andresen warf einen Blick auf den Zettel. «Mehr haben wir nicht?»
    Ortmanus schüttelte stumm den Kopf.
    Der Polizeihauptmann reichte Sören das Papier, auf dem die Betreiber und Mitglieder des Vereins aufgelistet waren. Ein bekannter Name war nicht darunter.
     
    Mathilda hatte auf Sören gewartet. Gegen neun Uhr hatte Andresen ihn in der Feldbrunnenstraße abgesetzt. Genau wie er selbst wirkte sie übermüdet. Aber vor allem war sie froh, dass er unversehrt war. Aufgelöst umarmte sie ihn. Ilka und Robert waren bereits in der Schule, und die Orchesterprobe würde heute ausfallen.
    «Ich habe mich die ganze Nacht mit Kaffee wach gehalten und bin so aufgewühlt, dass ich außer einem Vibrato nichts Gescheites spielen könnte.» Sie wischte sich mit dem Ärmel ihre Tränen aus dem Gesicht. «Erst die Sache mit Heidi, dann Ludwig, und nun muss ich mir auch noch Sorgen um Liane machen.»
    «Du weißt wirklich nicht, wo sie stecken könnte?»
    Tilda schüttelte den Kopf. «Was sagt denn David?»
    «Für ihn scheint ihr Verschwinden nichts Besonderes zu sein. Er ahnt aber auch nichts von den Hintergründen, ich wollte ihn nicht unnötig belasten und habe nichts erzählt. Machst du mir einen Kaffee?»
    «Lass uns lieber ins Bett gehen. Ich brauche dringend eine Mütze Schlaf», sagte Tilda und lehnte ihren Kopf an Sörens Brust.
    «Lippstedt hat ein Bild von ihr angefertigt. Ein Akt. Er beharrt aber darauf, dass er es aus der Erinnerung gemalt hat und dass auch er Liane seit zwei Wochen nicht mehr gesehen hat.»
    «Glaubst du ihm?»
    «Er war völlig fertig mit den Nerven, als ich von Heidis Schicksal berichtete. Genau wie Gerda – sie war bei ihm, als wir kamen. Details haben wir ihnen erspart. Erinnerst du dich an den Photographen in Duvenstedt?»
    «Nur an seinen nackten Hintern.»
    «Er soll dort angeblich mit seiner Frau gewesen sein. Ist sie dir aufgefallen?»
    Tilda
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