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Totenwall

Titel: Totenwall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Meyn
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enttäuscht wieder ab. So etwa August Bethmann, der gemeinsam mit seiner Verlobten Anna Schwab gekommen war und auf der Insel vielleicht ermordet wurde. Sören stutzte. Hatte sich ihm nicht eine Anna Schwab in Duvenstedt vorgestellt? Er las weiter. Nach Bethmanns Tod reiste die Schwab kurze Zeit später mit Ziel Europa ab.
    Die folgenden Zeilen waren markiert. Auch der Dichter Arno Oechslin ließ sich mit seiner Frau für kurze Zeit bei Engelhardt auf Kabakon nieder, konnte sich aber mit dem Kokovorismus nicht identifizieren und zog nach wenigen Monaten weiter.
    «Kennen Sie inzwischen den Wohnort von Arno Oechslin?»
    Andresen nickte. «Wir sind dabei, das zu prüfen. Oechslin arbeitet in einem Bautrupp für die Ringbahn, als Führer von Lorenbahnen. Die Meldeadressen der Arbeiter müssen vorliegen. Zwei Kollegen sind unterwegs und erkundigen sich.»
    «Ihr Bruder also. Was sie vor Kaminskys Camera getrieben haben – Sie haben die Bilder ja gesehen. Auch noch Inzest.»
    «Gegenüber dem Abschlachten der Frauen ist dieses Vergehen wohl eher zu vernachlässigen.» Andresen machte einen schweren Atemzug.
    «Was sagt Kaminsky zu den Vorwürfen?», fragte Sören.
    «Er sagt, alle hätten ihm freiwillig Modell gestanden und er habe niemanden zu etwas gezwungen, geschweige denn Gewalt angewendet. Von den Morden will er nichts wissen.»
    Sören dachte daran, was ihm Lippstedt erzählt hatte. Dass Heidi Sello in Duvenstedt nur noch Augen für Kaminsky gehabt habe. Er selbst hatte ja mit eigenen Augen gesehen, wie Heidi mit ihrem nackten Körper kokettierte. Für sie musste es spannend geklungen haben, was der Photograph ihr vorgeschlagen hatte. Eine törichte Naivität, die Kaminsky schamlos ausgenutzt hatte. Oder hatten die Frauen tatsächlich ihr Einverständnis gegeben? Gelockt worden waren sie mit der Aussicht auf Bilder von ihrem Körper. Waren die sexuellen Handlungen Bestandteil des Abkommens gewesen? Ihre Gesichter auf den Photographien wirkten weder verängstigt noch erschreckt. Sören war außer sich. «Die stecken doch alle unter einer Decke! Kaminsky, die Oechslin und ihr Bruder!»
    Andresen zuckte mit den Schultern. «Nach allem, was wir über ihn wissen, macht Kaminsky vor nichts halt, womit sich Geld machen lässt. Egal ob Prostitution, Glücksspiel, Erpressung, Falschmünzerei, Betrug. Dabei wechselt er anscheinend von Fall zu Fall seine Identität, sein Auftreten und seinen Namen. Adolf, Pjotr, Peter, Piet … Er war jedes Mal ein anderer Geschäftemacher. Nur eins war er nie – gewalttätig.»
    «Er hat mir zwei Zähne ausgeschlagen», protestierte Sören.
    «Wenn er es denn war. Sie haben mir erzählt, Sie konnten den Angreifer nicht erkennen. Für mich klingt Ihr nächtliches Erlebnis eher nach einem ganz gewöhnlichen Überfall, wie er auf dem Kiez praktisch an der Tagesordnung ist. Aber davon abgesehen wissen Sie, was ich meine: Mord und Totschlag lassen sich in Kaminskys Strafregister nicht finden.»
    «Bislang nicht», warf Sören ein.
    «Das erinnert mich an unser Gespräch über Armin Brunckhorst.» Andresen grinste. «Nur dass damals die Rollen vertauscht waren, was die Einschätzung zu Gewaltbereitschaft betrifft. Kurzum: Ich kann mir Kaminsky nicht als jemanden vorstellen, der jungen Frauen die Köpfe abtrennt. Damit lässt sich nämlich kein Geld machen.»
    Andresen wurde ans Telephon gerufen. Mit ernster Miene kam er zurück. «Oechslin ist seit drei Tagen nicht bei der Arbeit erschienen», erklärte er. «Aber wir haben seine Adresse. Er wohnt nicht weit von Kaminskys Atelier entfernt. Die Barmbecker Kollegen sind schon unterwegs. Ich habe ihnen gesagt, sie sollen vor Ort auf uns warten.»
     
    Tatsächlich lag die Wohnstätte in der Nähe des Ateliers, allerdings in einer Gegend, wo die dichte Bebauung von Barmbeck zum Hellbrook hin ausgedünnt war und sich der ursprünglich dörfliche Charakter erhalten hatte. Bauernhäuser, Höfe und Fachwerkbauten waren hier noch in der Überzahl. Zwei junge Wachtmeister erwarteten sie vor dem alten Gemäuer, einer Rauchkate mit tief geneigtem Reetdach, wie sie sonst kaum noch im Stadtbild zu finden waren. Die Umgebung machte einen verwahrlosten Eindruck. Der kleine Garten war unbestellt, und überall lagerte Gerümpel, kaputte Fuhrwerke und alte Gerätschaften. Sie umrundeten das Gebäude, versuchten, durch die winzigen Fenster ins Innere des Hauses zu blicken, aber sie waren mit dunklem Stoff abgehängt, vor dem dichte Spinnweben verrieten, dass die

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