Toter geht's nicht
Antrieb und vor allem die Leidenschaft.
Bestimmt vergisst Henning, dass Laurin am Donnerstag Training hat.
[zur Inhaltsübersicht]
9. KAPITEL
I ch habe vergessen, dass Laurin am Donnerstag Training hatte. An was soll ich denn bitte noch alles denken?
Melina hat heute Nacht plötzlich neben mir gelegen. In Franziskas Bett. Ich habe sie beim Frühstück nicht darauf angesprochen. Auch nicht auf Franziskas Brief. Ich glaube, ich lasse sie am besten einfach in Ruhe. Laurin hat ins Bett gepinkelt.
Teichner und ich waren gestern in Mannheim in Drossmanns Wohnung. Er wohnte dort am Stadtrand in einem kleinen Reihenhaus. Auch in Mannheim war er sehr für sich, wie die Nachbarn bestätigten. Ich habe Teichner machen lassen. Er hechelte von Reihenhaus zu Reihenhaus. Ich saß müde auf der Terrasse und gewöhnte mir das Rauchen wieder an. Ich nahm eine von Drossmanns Zigaretten, die neben dem Elektrogrill lagen, und zündete sie an. Sie schmeckte nicht, aber das passt ja zu meinem Leben. Wenn doch nur Markus hier sein könnte, dachte ich, dann würde das hier in irgendeine sinnvolle Richtung gehen. Ich werde ihn am Wochenende anrufen. Es steht ja auch noch eine Entschuldigung aus. Teichner notierte alle Nummern aus dem Register des Telefons. Vor allem die Nummern, die Drossmann in den letzten Tagen gewählt hat, könnten Ansatzpunkte ergeben, meint Teichner und gibt mir den Zettel. Da hat er wohl recht. Einen Anrufbeantworter besaß Klaus Drossmann nicht, auch keinen Kalender und auch kein Handy. Sonst standen ein Fernseher, ein dunkler runder Esstisch, ein paar unmotivierte Bücher und eine unfassbar hässliche Vitrine einsam im Wohnzimmer herum. An der Wand hing ein Foto von einer vergilbten Frau aus den siebziger Jahren, die vermutlich seine Ehefrau war. Die Tapeten waren ebenso wie die Gardinen angegilbt. Auch in der Küche und im Schlafzimmer war nichts zu finden, was in irgendeiner Form erwähnenswert wäre.
Als Kriminalermittler verhält es sich ähnlich wie mit Journalisten. Man benötigt die Gabe der Hartnäckigkeit und eine gewisse Form der Penetranz. Es muss bei den verhörten oder interviewten Mitmenschen drangeblieben, nachgefragt, ja nachgebohrt werden. Manchmal muss man sie auch unter Druck setzen, sie in die Ecke drängen, um an wichtige Informationen zu gelangen, um Verbrechen aufzuklären oder um gesellschaftliche Missstände aufzudecken. Es ist toll, wenn das jemand kann. Ich kann es nicht. Wenn ich jemandem eine Frage stelle und dieser kein Interesse hat, mir eine Antwort darauf zu geben, dann soll er es eben lassen. Markus Meirich kann es dagegen gut. Daher muss er immer verhören.
Ich hätte eben hartnäckiger sein müssen. Ich habe mit einer Frankfurter Künstleragentur telefoniert, die berühmte bis berüchtigte Schlagerstars managt. Drossmann hatte in den letzten acht Tagen vor seinem Tod elfmal dort angerufen. Er war Keyboarder in diversen Amateur-Unterhaltungscombos. Kaum vorstellbar, dass er sich in dieser Funktion dort gemeldet hat. Sonst scheint er kaum telefoniert zu haben. Einmal mit einer Sexhotline, zweimal hat er bei Telefongewinnspielen mitgemacht, einmal beim Pizzaservice angerufen und einmal bei seinem Sohn in Gießen.
«Wissen Sie, wie viele Phones wir hier am Tag haben? Da können wir uns ganz bestimmt nicht an Ihren Herrn Dingsbums erinnern», belehrt mich eine junge Frauenstimme, die in der Künstleragentur «Shalala» – so heißt die wirklich – vermutlich Kaffee kocht und vom Chef geknallt wird. So läuft das doch im Showbiz, machen wir uns doch nichts vor. Ich werde also von irgendeiner Praktikantin wie ein Vogelsberger Provinzpolizeiwachtmeister behandelt, der es niemals im Leben zum «Phone haben» bringen wird. Was Drossmann von dieser Agentur wollte, würde mich nun aber doch interessieren. Und wenn mich mal etwas interessiert, was mit meinem Beruf zusammenhängt, dann sollte ich dem unbedingt nachgehen.
Zwei Stunden später, so gegen vierzehn Uhr, hocke ich in meinem Dienstwagen und befinde mich auf der A5 nach Frankfurt auf dem Weg zur Shalala-Künstleragentur. Neben mir sitzt Melina. Als ich eben zu Hause an ihre Tür klopfte und ihr mitteilte, dass ich beruflich nach Frankfurt müsse, hörte ich nur einen spitzen Schrei. Ich zuckte zunächst zusammen, merkte aber schnell, dass dies eine Gefühlsregung war, die in irgendeine positive Richtung ging.
«Wie geeeeiiil, ich will mit! Frankfurt, wie geeeiiil. Bitte, bitte, ich will mit!»
Melina wächst
Weitere Kostenlose Bücher