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Toter geht's nicht

Toter geht's nicht

Titel: Toter geht's nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Faber Dietrich
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Mittvierzigerin, die sich mit dem schönen Namen Mörtelspecht vorstellt, versichert mir, sich nicht an solch ein Gespräch erinnern zu können. Eigentlich möchte ich daraufhin schon gleich wieder gehen, da diszipliniere ich mich doch noch zu einer Zusatzfrage: «Wie viele Personen arbeiten denn in Ihrem Büro? Ich meine damit, wer nimmt denn noch alles Telefongespräche an?»
    Nun entdecke ich halblinks von Bernhard Brink die Zähne von Micky Krause und den Arsch von Jürgen Drews. Mir tut Frau Mörtelspecht leid.
    Insgesamt acht Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, sagt sie, arbeiten für «Shalala». Die meisten von ihnen seien Studierende, die auf Honorarbasis «hier mal reinschnuppern». An diesem Freitagnachmittag sehe ich nur noch zwei junge Frauen und einen Mann in meinem Alter in der Agentur. Soll ich die jetzt auch noch fragen? Ich verliere wieder einmal jegliche Energie und will nur noch weg. «Darf man denn fragen, um was es geht?», fragt mich Frau Mörtelspecht.
    «Ja, darf man. Mord.»
    «Ui», macht Frau Mörtelspecht und greift nach dem Telefon, das vor ihr klingelt.
    «Laurin hat ins Auto gepisst, oh Mann, das stinkt wie Sau», höre ich im Hintergrund eine Mädchenstimme schreien, und ich wundere mich über den unflätigen Umgangston in dieser Agentur, ehe mir klar wird, dass die Stimme meiner Tochter zuzuordnen ist. Nachdem ich nicht gleich reagiere, schreit Melina den gleichen Text noch einmal, nur noch etwas schriller und lauter.
    Frau Mörtelspecht nimmt kurz den Hörer vom Ohr und schaut mich so streng wie irritiert an. Ich stolpere hinüber zu Melina.
    «Mann, echt», keift sie, «jetzt flennt er, und es stinkt wie …»
    «Wie Sau, ja, ich habe es verstanden», unterbreche ich Melina zischend, packe sie am Arm, zerre sie mit mir und verlasse so schnell wie möglich die Shalala-Räume. Big-Brother-Jürgen lächelt mir nach.
    «Bin ich jetzt wieder schuld, oder was?», schreit mich Melina im Treppenhaus an. «Mein Bruder pisst sich voll und klaaar, jaaaa, und ich bin schuld.»
    «Nein», sage ich ruhig, aber genervt. «Das sagt doch keiner, dass du schuld bist. Es ist aber kein Grund, hier so reinzuplatzen und mich so dermaßen zu blamieren. Melina, ich muss hier arbeiten.»
    «Ich bin doch immer schuld und du nie, ne?», kreischt meine Tochter weiter. «Warum ist denn Mama weg, hä? Auch wegen mir? Die hast ja wohl mal du auf dem Gewissen.»
    «Melina, bitte, es reicht jetzt!»
    «Du Scheißarsch!»
    Dann wirft sie sich auf den Beifahrersitz, schmeißt die Autotür zu und heult.
    Erst jetzt stelle ich fest, dass Laurin nicht im Auto sitzt. Ich sehe die Pissflecken auf dem Polizeirücksitz, aber nicht den Verursacher. Umgedreht wäre es mir lieber. Ich schaue mich um und sehe ihn nicht. Mir wird schwindelig, und ich wünsche mir, dass entweder Laurin vom Himmel fällt oder ich im Erdboden versinke.
    «Ist des Ihr Bübsche?», höre ich plötzlich eine ältere Frauenstimme. An der Hand hält die Dame einen heulenden Knaben mit heruntergelassener Hose. Mein Sohn Laurin ist fünf Jahre alt, pisst sich im Auto in die Hose, rennt dann bei minus drei Grad mit nacktem nassem Arsch heulend durch Frankfurt-Bornheim. Vaterstolz ging schon mal leichter.
    «Den hab ich dribbe rumwetze sehn, ei ei ei», babbelt die Finderin dann noch in schönstem Frankfurter Dialekt. Vor Scham vermeide ich es, ihr in die Augen zu schauen. Ich nuschle ein unterdrücktes Danke und verpflanze Laurin mit einem Gefühl irgendwo zwischen Erleichterung, Erschöpfung und Verärgerung auf den Rücksitz.
    «Ei ei ei», sagt die Frau noch einmal.
    Ich bleibe aber ganz ruhig. Einfach weitermachen, tief durchatmen und tun, was anliegt. Ich hole Decken aus dem Kofferraum, wickele Laurin damit ein. So ähnlich wird sich ein Katastrophenhelfer nach einem Flugzeugabsturz vorkommen. Da muss man Ruhe bewahren und nüchtern die nötigen Entscheidungen treffen. Beide Kinder heulen, und es klingt so, als würden sie damit die nächsten drei Jahre auch nicht mehr aufhören. Meine zaghafte Bitte, das Geheule vielleicht doch einmal zu beenden, geht unter. Resigniert starte ich den Wagen.
    Ein paar Minuten später stehe ich mit laufendem Motor beim sogenannten «Mc Drive» in der Autoschlange. Noch einmal zwanzig Minuten später auch. Ich fluche stumm, die Kinder heulen laut. Dann verstehe ich den Automaten nicht, der mit mir spricht. Chantal verstehe ich immer. Ich bestelle und verstehe die Stimme wieder nicht.
    «Oh Mann, bist du taub?», keift

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