Toter geht's nicht
dunkelblondes halblanges Haar, ihre Augenfältchen, ihr feingliedriges Gesicht, ihre schmalen Schultern, ihre Finger, ihre Hüften, ihr Po. Jawohl, ein feiner Po. Meinen putze ich ab. Die Sitzung ist beendet.
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8. KAPITEL
D as finde ich aber toll, dass du mal den Laurin abholst», begrüßt mich Molli, als ich das Grundstück des Schlumpfloch-Kindergartens betrete. Ich meine einen leisen Vorwurf in ihrer aufgesetzten Herzlichkeit zu vernehmen. Molli umarmt mich. Ich verschwinde in Tüchern. Sie trägt immer Tücher, von oben bis unten. Gäbe es den Kopf nicht, wäre bei Molli ein Oben nicht erkennbar. Molli umarmt jeden. Grundsätzlich umarmt man sich hier in der elternverwalteten Kindergruppe Schlumpfloch e.V. gerne. Einer der Gründe, warum ich diesen Ort bisher meist gemieden habe. Ich bin nicht so der Umarmer-Typ. Ich möchte diejenigen, die ich umarme oder von denen ich umarmt werde, sehr gut kennen und im besten Falle mögen. Das ist bei den Schlumpflöchern nicht immer der Fall. Ich bin ein wenig zu früh und daher im Vorgarten des kleinen Schlumpfloch-Häuschens Molli ausgeliefert. Diesen hat die «Garten- und Sandkasten-Eltern-AG» vor zwei Jahren angelegt. Ich weiß noch gut, wie Franziska sechs Wochen lang jeden Samstag und Sonntag im Schlumpfloch-Matsch kniete und mit Siggi, Karin und Wolle in der Erde herumhackte. Wenn sie am Abend heimkam, bekam ich immer ein schlechtes Gewissen. In Franziskas Blick sah ich dieses: «Warum muss ich das immer machen? Und warum nicht auch mal du?» Sie sprach es aber nie aus. Franziska hatte das damals entschieden. Sie wollte für Laurin eine kleine Gruppe mit gutem «Betreuungsschlüssel», wie man sagt. Sie wollte in der Struktur eines Elternvereins mitgestalten und -bestimmen. Sie suchte eine Alternative zu den üblichen Kindergärten. Außerdem gäbe es bei Schlumpfloch nicht diesen Großküchenfraß, sondern vollwertige, von den Eltern im Wechsel hergerichtete Speisen. Franziska musste beim Kochen diverse Verbotsregeln beachten und auf die unzähligen Allergien der Schlumpfloch-Kinder Rücksicht nehmen. Kein Weißmehl, keine Kuhmilch, keine Tomaten, kein Zucker und natürlich kein Fleisch. Als ein Kind mit einer Reisallergie aufgenommen wurde, wurde es eng. Ich glaube, zu dieser Zeit gab es dann mal für ein paar Jahre gar nichts zu essen, und die Kinder durften hungern. Allerdings vollwertig hungern.
Franziska musste fast wöchentlich zu Elternabenden oder AG-Treffen, die niemals vor ein Uhr nachts endeten und in denen über die vollwertigste Kinderzahnpasta diskutiert und kampfabgestimmt wurde. Ganz selten bin ich dort hingegangen. Einmal, erinnere ich mich, brachte ich Rotwein mit, was nicht bei allen gut ankam.
Wolle hält hier die Fäden in der Hand. Die Wolle-Fäden. Wolle ist durch sein unbestreitbares Überengagement nicht kritisierbar. Franziska hat es trotzdem einmal zaghaft versucht. Sofort drohte er, alles hinzuschmeißen. Niemand hängt sich so rein wie Wolle. Wolle ist in allen AGs. Wolle kann so alles am besten kontrollieren und auf «Missstände» hinweisen. Niemand hat aber auch so viel Zeit wie Wolle. Wolle schreibt seit vierzehn Jahren an einer Philosophie-Doktorarbeit. Sagt er jedenfalls. Und alle sind sich sicher, er wird dies auch noch die nächsten vierzehn Jahre tun. Das geht nur, weil seine Frau Molli von ihren Eltern einiges geerbt hat. Wolle und Molli werden noch so viele Kinder nachlegen, dass Wolle bis an sein Lebensende hier tätig sein kann. Da bin ich ganz sicher.
Während ich Molli frage, wie es denn in den letzten Tagen mit Laurin gewesen sei, sehe ich im Hintergrund Wolle mit dem Akkuschrauber von der Leiter fallen. Es macht batsch. Wolle liegt im Schneematsch. Doch er steht wieder auf. Ein Wolle ist nicht totzukriegen. Schon gar nicht in seinem Revier.
«Ich spüre bei Laurin eine gewisse Aggressionsproblematik. Versteh mich nicht falsch, Henning, aber Calvin-Manuel kennt das nicht. Calvin-Manuel diskutiert Konflikte aus. Euer Laurin macht dann aber leider sehr sehr sehr zu, geht bei leisester Kritik ganz ganz ganz stark in die Abwehr. Ich habe versucht, ihn in seiner Wut abzuholen, doch er wurde leider noch aggressiver.»
Kann ich gut verstehen. Wenn Molli mich in meiner Wut abzuholen versuchen würde, würde ich sie vermutlich vermutlich vermutlich umbringen. Doch ich muss ihr und Wolle dankbar sein. Drei Tage konnte Laurin bei ihnen sein. Das war zugegebenermaßen sehr hilfreich.
Manche geraten in
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