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Toter geht's nicht

Toter geht's nicht

Titel: Toter geht's nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Faber Dietrich
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Melina mich an. «Ob du einzeln oder Menü nimmst, will die wissen!»
    Dann geschieht etwas in mir. Wie soll man es nennen? Wut? Jedenfalls steigt irgendetwas in mir auf, das sich nicht mehr aufhalten lässt.
    «Was weiß ich denn?», schreie ich in Richtung des Sprechautomaten. «Ich will einfach drei Big Mac und zwei Cola. Ob Einzel, Doppel oder sonst was ist mir scheißegal. Ich will jetzt endlich dieses Scheißessen und dass meine Frau endlich zurückkommt. Ist das so viel verlangt?»
    Die Stimme aus dem Automaten sagt: «Dann fahren Sie bitte zu Tor 2.»
    Chantal erwidert: «Biegen Sie die nächste rechts ab», und die Kinder heulen nicht mehr.
    Der ursprüngliche Besuch in der ohnehin überschätzten Zeilgalerie wird einstimmig abgeblasen, und wir treten die Heimreise an.
    Wieder schweigen wir. Auch Benjamin Blümchen hält die Fresse. Laurin schläft. Es ist dunkel, neblig, kalt und frostig. Sowohl draußen wie drinnen. Melina blickt aus dem Seitenfenster. Ich beobachte sie in losen Abständen aus dem Augenwinkel. Die wie immer zu dick aufgetragene Schminke hat sich gleichmäßig über ihr Gesicht verteilt. Ihre Wangen sind gerötet. In losen Abständen zieht sie den Restheulrotz leise durch die Nase. Plötzlich höre ich neben mir ein ganz leises «Sorry». Ich erschrecke leicht.
    «Hast du was gesagt?», frage ich ebenso leise.
    «Ja, sorry.»
    «Warum?»
    «Für das ‹Scheißarsch› vorhin.»
    «Ist schon okay», sage ich. Du weißt gar nicht, wie recht du hast, denke ich hinterher.
    «Ein einfaches ‹Arsch› hätte gereicht. Scheißarsch war too much», sagt Melina.
    Ich muss lachen und blicke zu ihr hinüber. Melina lächelt.
    Wieder fahren wir einige Minuten, ohne zu reden. Doch es ist nun eine andere Stille. Eine bessere.
    «Was wolltest du eigentlich in diesem Schlagerbüro?», fragt sie wenig später.
    «Ich musste da was fragen, für meine Arbeit.»
    «Wegen dem Toten da auf unserem Faschingsumzug?»
    «Genau», antworte ich.
    «Und was hat der Herr Bärt damit zu tun?»
    «Wer?»
    «Na, der Herr Bärt. Der mit dem ‹Lass uns fummeln, Pummel!›. Warst du nicht wegen dem da?»
    «Ach, du meinst den Herbert Ruland? Unseren Vogelsberger Gottlieb Wendehals für Arme?»
    «Wen?», fragt Melina.
    Gottlieb Wendehals kennt Melina natürlich nicht mehr. Die Gnade der späten Geburt.
    Herbert Ruland, ehemals Stimmungsmusiker und Büttenkomödiant aus dem Schottener Karnevalsverein hatte vor gut einem Jahr mit «Lass uns fummeln, Pummel» einen deutschlandweiten Mega-Hit gelandet. Seitdem nennt er sich «Herr Bärt».
    Monatelang war er ganz weit oben in den Charts zu finden, und er wird vermutlich über Jahre hinaus in keiner Faschingssaison, bei keiner Ibiza-Schaumparty und bei keinem Ballermannbesäufnis mehr fehlen dürfen. Eine Zeitlang war Herr Bärt, der heute in einem Atemzug mit Größen wie DJ Ötzi zu nennen ist, der ganze Stolz des Vogelsbergs. Er hat mit «Lass uns fummeln, Pummel» schon heute so viel Geld verdient, dass er sich ein schönes Haus in Bad Homburg kaufen konnte und somit vor zwei Monaten seiner Heimat den Rücken zugekehrt hat. Das haben ihm viele hier im Vogelsberg nicht verziehen. Denn nun ist er nicht mehr «einer von uns». Trotzdem soll er weiterhin jedes Jahr als Gaststar bei der großen Fremdensitzung in Schotten auftreten. Auch in diesem Jahr war er mit von der Partie, wie ich einem ganzseitigen Artikel aus der Lokalpresse entnehmen musste.
    «Wie, was ist mit Herr Bärt?», frage ich bei Melina nach.
    «Seine Hackfresse hing doch da in dieser Agentur.»
    «Wie?»
    «Und da lagen doch auch noch Autogrammkarten rum. Ich dachte, wegen dem wollste da was fragen?»
    «Nochmal, Melina. Du hast den Herr Bärt ganz sicher auf Plakaten und Autogrammkarten in dieser Agentur gesehen?»
    «Ei ja, klar.»
    Es materialisiert sich nun tatsächlich so etwas wie eine Spur, und mich überkommt spontan ein Anflug von Euphorie.
    «Melina, das ist ja großartig. Du hast mir sehr geholfen. Du bist die Beste!»
    Und wieder lächelt sie.
     
Mehr allein geht nicht. Mehr Schnee auch nicht. Und Stille kann so laut sein. Die Berge beruhigen mich ein bisschen. Zum Glück. Manchmal. Auch wenn ich nachts aufwache, wenn die Erinnerung kommt. Dann rast mein Herz und pfeift es im Ohr. Was habe ich getan? Hier gibt es keine Ablenkung. Keine Kinder, kein Mann, keine Schule, kein Fernseher. Hier gibt es nur mich und mein Netbook. Das ist zu viel. Von hundert auf null. Ich kann momentan nicht einmal

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