Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Toter geht's nicht

Toter geht's nicht

Titel: Toter geht's nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Faber Dietrich
Vom Netzwerk:
weiß, auf was eigentlich. Als Bergbauer oder Hüttenwirt würde ich ungern arbeiten, aber im Winter «nichts tun», das klingt durchaus nicht uninteressant.
    Ein wenig später kommt noch eine Message von ihr:
    Und du? Wie sieht dein Leben so aus?
Im Moment trinke ich Rotwein und chatte mit einer eigentlich wildfremden Frau.
    Auf diese bedingt originelle Antwort reagiert sie minutenlang nicht. Vermutlich wartet sie auf eine ernsthaftere Mail. Ich grübele halbbesoffen darüber nach, wie «mein Leben so aussieht» und ob ich dieser Sandra davon überhaupt erzählen möchte. Ich habe keine Lust auf mein Selbstmitleid, auf die Schwere. Ich will spielen. Was soll ich also schreiben? Sandra soll mich bitte idealisieren und in mir das sehen, was ich nicht bin. Ein kraftvoller, jungenhafter Dandy, der auch heute noch am Lagerfeuer Gitarre spielt und mit grauen Schläfen auch in den nächsten Jahren sexy sein Ding durchzieht. Eine verdammt coole Sau. Keine Memme.
    Ich öffne eine zweite Flasche Rotwein, schenke mir ein und schreibe:
    Ich bin alleinerziehend und kläre Mordfälle auf. Das ist genau mein Ding. Das ist nicht immer leicht, aber ich liebe Herausforderungen und bin ein Typ, der das Leben so nimmt, wie es kommt.
    Ich drücke auf «Senden» und lache mich selber aus.
     
    Dabei muss ich dann eingeschlafen sein, denn knapp eine Stunde später, gegen halb zwölf, weckt mich der alberne Klingelton meines Handys.
    Bedödelt blicke ich auf das Display. Es ist Miriam.
    «Ja?» knarze ich ins Telefon.
    «Hier ist Miriam. Habe ich dich geweckt?»
    «Ja, nee, nicht so richtig … was ist los?»
    Sie druckst ein wenig herum. Ich höre Fahrgeräusche. Sie scheint im Auto zu sitzen.
    «Henning, ähm, ich bin ziemlich im Arsch. Ich war gerade bei Markus …»
    Markus Meirich! Scheiße, das schlechte Gewissen jagt mir wieder durch den Körper. Markus … ich habe mich wieder nicht bei ihm gemeldet. Ich hatte es mir so fest vorgenommen, aber immer wieder Gründe gefunden, es aufzuschieben. Die kleine Tochter meines besten Kollegen hat Leukämie, und von mir gibt es kein bisschen Beistand, weil ich im Internet rumhängen muss.
    «Ich brauch mal jemanden zum Quatschen», sagt Miriam dann. «Kann ich vorbeikommen?»
    Ich blicke zur Uhr und zu den Weinflaschen und zögere ein wenig mit der Antwort.
    Dann sage ich zu. Ich habe das Gefühl, dass ich damit ein bisschen meine Schuldgefühle abarbeiten kann.
    «Danke, ich bin in zehn Minuten da», sagt Miriam.
     
    Als ich wenig später ihr Auto vorfahren höre, schleppe ich mich zur Tür, öffne sie bereits, während sie einparkt, damit durch das Klingeln und das damit zwangsläufig verbundene Hundegebell die Kinder nicht geweckt werden.
    Miriam sieht wirklich mitgenommen aus. Ihre rötlichen Augen sagen mir, dass sie geweint haben muss. Ich bitte sie herein. Sie sieht auf dem Couchtisch meine zwei bearbeiteten Weinflaschen stehen.
    «Sehr gut. Das ist so ziemlich genau das, was ich jetzt gebrauchen kann.»
    Ich schenke ihr und mir ein Glas von dem billigen Dornfelder ein und koche Kaffee, weil man das in solchen Situationen so macht. Ich stelle fest, dass ich einen sitzen habe, versuche mir aber nichts anmerken zu lassen.
    «Schön habt ihr’s hier», smalltalkt Miriam.
    «Na ja … joh, eigentlich schon. Hat Franziska alles gemacht.»
    «Was ist eigentlich mit ihr? Weißt du, wann sie wiederkommt?», wagt sich Miriam vor.
    «Nein, weiß ich nicht. Ist mir auch scheißegal im Moment», rutscht es mir ein wenig lallend heraus. Ich atme tief durch und frage dann Miriam: «Wie geht’s bei Markus? Erzähl …»
    «Puuh, Scheiße, Mann, das ist echt bitter. Die Chancen stehen wohl fifty-fifty. Man weiß es nicht, ob die Kleine das schafft. Markus und seine Frau sind rund um die Uhr im Wechsel bei ihr im Krankenhaus. Henning, wenn du den Markus so siehst, das haut dich um. Der ist so was von am Ende. Er sagt, das Schlimmste sei die Machtlosigkeit. Er hat gesagt, er könne sich mit nichts ablenken, an nichts anderes denken. Da sitzt mir ein zwei Meter großer Mann gegenüber und heult wie ein kleines Kind …»
    Auch Miriam beginnt zu heulen. Ihr zierlicher Körper zittert.
    «Und dann sagt er noch, dass er kaum jemanden hat, mit dem er reden kann. Er will seine Freunde nicht damit belasten und hat das Gefühl, dass viele, aus Angst etwas Falsches zu sagen, lieber ganz den Kontakt mit ihm meiden», schluchzt sie weiter.
    Wie ich, denke ich.
    «Ist das nicht krass?»
    «Ja, das ist es»,

Weitere Kostenlose Bücher