Toter geht's nicht
irgendwo?»
«Nee, weiß net. Er ist abgerutscht, und ich konnte die Leine nicht mehr halten. Dann war er weg, und es hat platsch gemacht.»
«Platsch?»
«Ei ja, so halt …»
Nun werde auch ich etwas unruhig.
«Warum bist du nicht hinterher?», frage ich und versuche in der Betonung der Frage nicht allzu viel Vorwurf durchschimmern zu lassen.
«Weil’s so steil und eisig ist. Ich hab kein Halt mit meinen Chucks», antwortet meine Tochter. Ich denke an ihre labberigen Leinenschuhe, die sie offen und ohne Schnürsenkel zu tragen pflegt.
«Mein Gott, wo läufst du denn auch mit ihm rum?», frage ich, mühsam die Contenance wahrend. «Warum gehst du nicht auf den normalen Wegen?»
«Hohh, Mann, weil ich da immer die Scheiße wegmachen muss, wenn der kackt, und das kann ich nicht. Da kotz ich. Hab kein Bock, mich dann immer von diesen Kurspießern anpflaumen zu lassen.»
«Ist auch egal jetzt», versuche ich ein wenig zu deeskalieren. «Pass auf, ich kann dir jetzt nicht helfen. Ich bin in Mannheim. Bleib einfach in der Nähe und rufe immer und immer nach ihm. Vielleicht findet er dann wieder allein zurück.»
«Ja suuuper», motzt Melina. «Ich soll jetzt hier ständig ‹Berlusconi› durch die Gegend kreischen. Warum musstet ihr ihm nur so einen fuck Namen geben?»
«Das kann dir jetzt egal sein», antworte ich. «Mach’s einfach. Alles wird gut. Der kommt bestimmt wieder.»
Wie kalt wohl die Nidda im Moment ist? Und wie lange ein Hund in so einer Kälte im Wasser überhaupt überleben kann?
Melina heult.
«Und wenn Berlusconi jetzt tot ist?», schluchzt sie ins Telefon. «Dann bin ich schuld.»
«Nein, bist du nicht», versuche ich zu trösten. «Gut, dass du ihn losgelassen hast. Sonst wärst du jetzt auch …»
«Tot?»
«Nein, in der Nidda.»
«Warum kann Mama jetzt nicht einfach da sein?»
Sie schluchzt inzwischen so, dass es mir durch Mark und Bein geht.
«Dad, bitte sag mir, wann kommt sie? Fuck fuck fuck, wann kommt Mama endlich wieder?»
«Hör zu, mein Schatz, ich bin so schnell wie möglich bei dir. Lass dein Handy an. Es dauert ein bisschen, aber geh, solange Berlusconi nicht wiederauftaucht, nicht weg dort.»
«Mir ist aber so kalt.»
Ich stelle mir vor, wie sie sich vermutlich komplett an den kühlen Temperaturen vorbei gekleidet hat. Hormone erhitzen zwar, doch auch sie kommen irgendwann an ihre Grenzen.
«Melina», sage ich eindringlich. «Ich schicke Oma oder so was Ähnliches zu dir und komme so schnell wie möglich, versprochen!»
Dann lege ich auf, melde mich bei meiner Mutter, schaffe es auch erstaunlich schnell zu Wort zu kommen und bitte sie, zu Melina zu eilen.
Ich renne zu meinem Auto, rufe Teichner zu, dass er und Miriam sich von Kollegen nach Gießen zu Drossmann bringen lassen sollen, und fahre äußerst entschlossen zu meiner Tochter und unserem absaufenden Köter.
Schön, dass du wieder online bist. Wie geht’s?
Das weiß ich schon länger nicht mehr. Ich habe keine Zeit mehr, über so etwas nachzudenken.
Ach Gottchen …
Jaja, ach Gottchen. Ich bin nun halt einmal eine Memme.
Soso, eine Memme? Klingt aufregend …
Vor ein paar Wochen habe ich mir ständig Gedanken darüber gemacht, wie schlecht es mir geht. Heute habe ich sogar dazu keine Zeit mehr. Na ja, vielleicht ist das ja gar nicht so schlecht.
Haste so viel Stress? Was ist denn los bei dir?
Das willst du nicht wirklich wissen?!
Warum nicht?! Ich sitze hier oben auf der Hütte und habe fast den ganzen Tag Langeweile. Da kann ich mal ein paar aufregende Geschichten gebrauchen.
Und dafür soll ich jetzt herhalten?
Genau!
Und ich darf auch memmen?
Ich bitte darum!
Mir wird in diesem Moment klar, dass ich seit Franziskas Weggang mit niemandem offen geredet habe. Dass ich mich weder bei einem guten noch bei irgendeinem anderen Freund, wie man so schön sagt, ausgeweint habe. Die meisten dieser in Frage kommenden Freunde sind auch Freunde von Franziska. Da fehlt mir der Mut, mich zu öffnen. Ich hätte Angst, statt Hilfe Vorwürfe zu erhalten. Mit meinen ganz eigen erworbenen Männerfreunden habe ich bisher nur über Eintracht Frankfurt gesprochen. Und das ist, so schwer es auch fällt, derzeit nicht mein Topthema. Der einzige in Frage kommende Freund wäre Lorenz. Doch der ist eine noch größere Memme als ich. Der findet mit allergrößter Sicherheit schnell etwas, von dem er behaupten kann, dass es ihm damit noch schlechter gehe als mir, und das kommt für mich derzeit nicht in Frage. Ich habe echte
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