Totgeglaubt
bin’s. Wenn du mal eine Minute hast, würde ich gerne mit dir sprechen. Es geht um den Schuss”, sagte sie. Dann hinterließ sie noch einmal ihre Nummer und legte auf.
Was nun? Sie war versucht, sich eine Taschenlampe zu schnappen und im Truck und in der Garage ihres Nachbarn nach ihrer Pistole zu suchen. Aber lohnte es sich wirklich, deswegen gegen das Gesetz zu verstoßen?
Mit einem Seufzer ging sie zurück zum Telefon. Es behagte ihr überhaupt nicht, Jeds Baseballmütze ausgerechnet dem Cop auszuhändigen, der sie gerade gefeuert hatte. Aber um voranzukommen, brauchte sie einen Durchsuchungsbefehl, und den würde sie als Zivilperson nicht bekommen.
Wie erwartet nahm Hendricks ihren Anruf entgegen. “Ja?”
“Hendricks? Hier ist Allie.”
“Haben Sie meine Nachricht erhalten?”
“Ja, danke. Hören Sie, ich habe da etwas für Sie, was Sie vielleicht interessiert.”
“Was?”
“Jed Fowlers Baseballkappe.”
“Was soll ich mit der?”
Allie zupfte nervös am Gummiband ihrer Schlafanzughose. “Ich habe sie heute in der Nähe der Hütte gefunden.”
Es folgte eine lange Pause. “Als ich dort war, habe ich sie nicht gesehen, Allie.”
Überrascht von seiner Antwort, schwieg sie eine Weile. “Sie lag oben am Hang.”
“Sind Sie sicher?”
“Was soll das heißen?”, fragte sie.
“Nichts. Ich kann mir nur nicht vorstellen, warum Jeds Kappe dort draußen liegen sollte. Das ist alles.”
Allie stand auf und begann, über die Arbeitsflächen zu wischen. Den Großteil des Abwasches hatte sie bereits erledigt, doch der Fund von Jeds Kappe hatte sie so beschäftigt, dass sie etwas Geschirr übrig gelassen hatte.
“Vielleicht sollten wir genau das herausfinden”, regte sie an.
“Und was schlagen Sie vor?”
“Bitten Sie den Sheriff, einen Durchsuchungsbefehl für Jeds Haus und Wagen zu besorgen. Vielleicht finden Sie meine Waffe in einem von beiden.”
“Der Sheriff wird sich nicht um einen Durchsuchungsbefehl bemühen.”
“Warum nicht?”
“Die Zeugen sind verhört und die Spuren gesichert. Die Bezirkspolizei hat uns angewiesen, die Angelegenheit abzuschließen. Und außerdem weiß Ihr Vater ganz genau, dass Jed niemals auf Clay schießen würde.”
Sie drehte den Wasserhahn über der Spüle ab. “Haben Sie denn irgendwelche anderen Verdächtigen?”
“Noch nicht, aber das spielt keine Rolle.”
“Warum nicht?”
“Weil Ihr Vater Wichtigeres zu tun hat.”
Allie ließ den Lappen fallen, mit dem sie den Küchentisch abgewischt hatte. “Was ist wichtiger als ein versuchter Mord?”
“Mord Nummer eins.”
“Wovon sprechen Sie?”, fragte sie.
“Der Staatsanwalt hat der strafrechtlichen Verfolgung endlich zugestimmt. Ihr Vater wird gegen Clay Strafanzeige wegen Mordes an Reverend Barker stellen.”
Allies Magen zog sich schmerzhaft zusammen. “Wann?”
“Gleich morgen früh.”
Das Neugeborene in den Armen zu halten, war für Clay eine bittersüße Erfahrung. Die absolute Unschuld, ja, sogar der Geruch des Kindes weckten eine Zärtlichkeit und eine Hoffnung in ihm, die so gar nicht zu den düsteren Gedanken passten, die ihn sonst sooft umtrieben. Obwohl er solche positiven Gefühle nicht gewohnt war und nicht recht wusste, wie er damit umgehen sollte, genoss er sie. Er mochte gar nicht zu seinem dunklen Geheimnis nach Hause zurückkehren. Er sehnte sich danach, sich endlich wie ein normaler Mann zu fühlen – so wie in der Nacht, als er Allie in den Armen gehalten hatte: Da war er lebendig gewesen, voller Leidenschaft, und begierig darauf, mehr als nur ihren Körper zu besitzen und ihr mehr als nur seinen Körper zu schenken. Clay wollte endlich für jemanden sorgen, sich an jemandem festhalten.
Doch leider war das das Einzige, was ihm verwehrt bleiben würde. Er hatte Allies Vater versprochen, seine Tochter in Ruhe zu lassen, und er wollte sein Versprechen halten. Alle Welt glaubte sowieso, dass Allie ohne ihn besser dran wäre als mit ihm. Und er selbst glaubte das auch. Und dennoch: Auf dem Heimweg vom Krankenhaus machte er einen Umweg und fuhr am Haus ihrer Eltern vorbei. Er überlegte sogar, ob er sie auf dem Handy anrufen sollte. Falls sie abnahm, könnte er sie bitten, kurz herauszukommen, und dann würde er ihr von Graces Baby erzählen.
Er stellte sich vor, wie ihr sinnlicher Mund bei dieser Nachricht lächeln würde. Sie hatte selbst ein Kind, sie würde es verstehen. Und er würde sie nicht anrühren. Er würde es ihr nur
erzählen.
Aber als er
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