Totgeglaubt
ihren Wagen nicht auf der Auffahrt stehen sah, vermutete er sie bei der Arbeit, und er beschloss, nach Hause zu fahren. Es war für alle besser, wenn er sich mit dem Leben zufriedengab, das er führte – und mit Beziehungen wie der, die er mit Beth Ann hatte. Sicher würde er die Oberflächlichkeit dieser Beziehungen irgendwann satthaben, und natürlich hatten auch unverbindliche Affären ihre Fallstricke. Aber es war dennoch besser, als gar kein Liebesleben zu haben.
Die Ampel an der Kreuzung Fourth und Main Street sprang auf Rot, und er musste bremsen. Er warf einen Blick nach links, wo es zu dem Trailerpark ging, in dem Beth Ann wohnte. Wenn er sich wieder mit ihr einließ, würde er dann über Allie hinwegkommen?
Wahrscheinlich nicht. Aber er würde zumindest ein paar leere Stunden füllen und nicht mehr ganz so viel über sie nachgrübeln.
Clay dachte an den sehnsüchtigen Klang in Beth Anns Stimme, als sie ihn heute Morgen am Telefon gefragt hatte, ob sie sich nicht wieder treffen könnten, und bog nach links ab.
Er würde nicht mit ihr schlafen. Aber es gab ja auch noch andere Möglichkeiten, wie sie ihn auf andere Gedanken bringen konnte …
“Mami, was machen wir denn?”
“Nur eine kleine Spazierfahrt, Schätzchen.” Allie beugte sich nach hinten zur Rückbank, um die Decke, die sie extra mitgenommen hatte, über Whitney auszubreiten. Sie hatte ein schlechtes Gewissen, dass sie ihre Tochter mitten in der Nacht aufgeweckt und aus dem Bett gezerrt hatte, zumal Whitney immer noch nicht ganz über ihre Erkältung hinweg war. Aber Allie konnte sie nicht alleine zu Hause lassen, und Clay ging einfach nicht ans Telefon. Wenn er schon schlief, musste sie ihn eben aus dem Bett werfen, und wenn er nicht zu Hause war, musste sie ihn finden. In jedem Fall musste sie verhindern, dass Clay am Morgen ihrem Vater völlig ahnungslos die Tür öffnete.
Wenn er erst wüsste, was sich da über ihm zusammenbraute, und begreifen würde, wie schlecht seine Chancen standen, dann würde er Stillwater hoffentlich sofort verlassen. Zumindest hoffte Allie das. Warum sollte er auch bleiben? Er würde keinen fairen Prozess bekommen. Und auch sie würde es sich gerne ersparen, mit anzusehen, was die Vincellis und deren Freunde alles gegen Clay auffahren würden.
“Mommy?”, fragte Whitney.
Allie bog in die Main Street. “Ja?”
“Darf ich mich abschnallen? Ich möchte mich hinlegen.”
“Nein.”
“Aber ich bin so müde.”
“Sorry, Schätzchen, aber es dauert nicht lange, okay?” Allie trommelte mit den Fingern auf dem Steuer herum und wartete ungeduldig, dass die Ampel umsprang und sie endlich bei Clays Farm anlangte. Aber da sah sie, dass die Billardhalle noch offen war und beschloss, kurz dort nachzuschauen, bevor sie aus der Stadt herausfuhr.
“Hier wollen wir hin?”, fragte Whitney verdutzt, als Allie in die schmale Seitenstraße abbog, die zum Parkplatz führte.
“Nein”, murmelte ihre Mutter. “Ich schaue nur kurz nach einem schwarzen Pick-up.”
Aber Clays Wagen war nicht unter den etwa fünfzehn geparkten Autos. Allie wollte gerade kehrtmachen, als Joe Vincelli und sein Bruder Roger aus der Billardhalle kamen.
Sie blieb stehen und beobachtete die beiden. Sie schwankten, als hätten sie zu viel getrunken. Dann drehte sich Joe auf dem Absatz um und schrie einem Typen, der im Eingangsbereich herumlungerte, etwas zu.
Allie runzelte die Stirn, als Joe lachte. Offensichtlich war er in bester Laune. Hatte er von der Sache mit Clay erfahren? War er mit seinem Bruder unterwegs, um seinen Sieg zu feiern?
Joes hämische Freude versetzte Allie einen Schlag. Sie wendete den Wagen, aber Joe bemerkte sie, bevor sie davonfahren konnte, und gab Roger ein Zeichen, die Parkplatzausfahrt zu blockieren.
“Was zum Teufel machen Sie da?”, fragte sie, während sie die Scheibe hinunterkurbelte.
Joe legte eine Hand auf das Dach ihres Wagens und lehnte sich gegen die Fahrertür. “Ich hatte eigentlich gehofft, dass Sie Ihren Freund dabeihaben.”
“Ich habe keinen Freund.”
“Wow! Heißt das, dass Sie mit mir auch schlafen würden?”, fragte er und brach zusammen mit seinem Bruder in schallendes Gelächter aus.
Allie biss die Zähne zusammen. “Falls Sie nichts dagegen haben … ich habe mein Kind hinten im Auto.”
“Und Sie wollen natürlich nicht, dass sie mitkriegt, was Mommy so treibt. Das kann ich verstehen.”
“Es reicht ja schon, dass Sie Ihren Eltern Schande machen”, fügte Roger
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