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Totgeglaubt

Totgeglaubt

Titel: Totgeglaubt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brenda Novak
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die Hand zu nehmen.
    Sie wischte mit ihrem Arm über den Küchentresen und fegte die Fotos auf den Boden. Jetzt versuchte sie nicht mehr, ihre Tränen zurückzuhalten. Der Anblick der Fotos tat ihr in einer Weise weh, wie sie es noch nie erlebt hatte. Wie konnte ein Mann, noch dazu ein Geistlicher, so etwas tun? Allie wusste, wie schlecht Menschen sein konnten; in Chicago hatte sie berufsbedingt so einiges erlebt. Aber das hier war anders. Der Täter war kein Fremder. Er war ein Mann, der sich als Nikolaus verkleidet und sie auf seinen Knien geschaukelt hatte. Ein Mann, der sie ermutigt hatte, keusch zu sein und sich für die Ehe aufzusparen. Was für ein Heuchler!
    Und erst die Opfer! Allie kannte sie alle, obwohl sie älter waren als sie. Rose Lee Harper hatte mit sechzehn eine Überdosis Schlaftabletten genommen. Allie erinnerte sich noch, wie ihre Klasse vom Unterricht befreit wurde, um an der Beerdigung des Mädchens teilnehmen zu können. Und Katie Swanson war mit … fünfzehn? … von zu Hause weggelaufen. Fast alle Bewohner von Stillwater hatten sich zusammengetan, um bei der Suche zu helfen, allen voran Barker. Sie hatten die gesamte Umgebung durchkämmt, bis Katie tot auf dem Highway gefunden wurde. Fahrerflucht.
    Beide Mädchen stammten aus ärmeren Familien, die voll und ganz auf die Kirche als Stütze vertraut hatten.
    Allie presste die Lippen aufeinander, um nicht laut loszuschluchzen.
    Großer Gott!
Was hatte Barker alles zerstört, was hatte er angerichtet! Arme Grace. Sie war die einzige, einsame Überlebende.
    Hatte sie das Clay zu verdanken?
    Allies Gespräch mit Madeline bestand eher aus Schweigen als aus Worten. Madeline war geduldig, aber Allie hätte gar nicht erst ans Telefon gehen sollen. Sie hatte bloß … ihre Hand nach jemandem ausstrecken wollen. Unbewusst hatte sie vielleicht gehofft, dass Madeline die Welt wieder zusammensetzen oder zumindest Erklärungen geben könnte. Aber der einzige Mensch, der das konnte, war vor neunzehn Jahren verschwunden.
    “Ich sollte jetzt mal besser Schluss machen”, sagte Allie schließlich. Madeline konnte ihr in ihrem Schmerz und ihrer Verwirrung nicht helfen. Niemand konnte das – und
sie
war noch nicht einmal betroffen, sie war kein Opfer. Sie hielt lediglich die Beweise in Händen.
    “Allie …”
    Die Sympathie und Wärme in Madelines Stimme verrieten Allie, dass sie ihr Weinen gehört hatte. “Geht schon wieder”, sagte sie.
    “Es tut mir so leid.”
    “Mach du dir keine Gedanken. Wir haben keinen Einfluss auf das, was andere Menschen tun.”
    “Ich weiß, aber … bitte ruf mich an, wenn ich dir irgendwie helfen kann.”
    “Mach ich”, versprach Allie und legte auf. Dann sammelte sie die Fotos auf und steckte sie in ihre Handtasche. Sie hielt den Anblick einfach nicht länger aus. Was sollte sie jetzt tun? Wenn sie die Fotos der Polizei aushändigte, würden alle sofort auf ein gewaltsames Ende des Reverends schließen – und bei Clay würde man das zwingendste Mordmotiv sehen.
    Was war in der Nacht geschehen, in der der Reverend verschwunden war?, fragte sich Allie zum hundertsten Mal. Hatte Clay entdeckt, was Barker Grace antat, und hatte er dessen Treiben gewaltsam beendet? Gestern noch hätte sie Stein und Bein geschworen, dass Clay nicht der Täter war.
    Aber jetzt, wo sie die Bilder kannte, war sie sich nicht mehr so sicher. Wenn irgendetwas Clay zum Mörder machen konnte, dann Barkers Perversionen.
    Ein dumpfes Geräusch riss Allie aus dem Schlaf. Blinzelnd schaute sie sich in dem aufgeräumten, spärlich möblierten Raum um, der in einem gespenstischen Zwielicht lag, weil die einzige Lampe in der benachbarten Küche brannte. Nach einer Weile wusste sie wieder, wo sie war: in Clays Wohnzimmer. Offenbar war sie auf dem Sofa eingeschlafen.
    Sie setzte sich auf und lauschte dem Geräusch nach, das sie aufgeweckt hatte. Die Dunkelheit draußen wirkte schwer und drückend. Es war spät. Zu spät für freundlichen Besuch.
    Hatte sie eine Katze gehört, die vom Verandageländer auf den Boden gesprungen war? Oder … eine Autotür?
    Es war kein lautes Geräusch gewesen, eher ein leises Klicken.
    Da war es wieder. Mit angespannten Nerven griff Allie nach ihrer Handtasche und presste sie fest an sich. Zwar würde Joe bestimmt nicht wegen ihrer Handtasche hier aufkreuzen – Allie bezweifelte sogar, dass er auch nur einen Blick auf sie werfen würde. Aber trotzdem: Sie konnte nicht riskieren, dass die Fotos in falsche Hände fielen.
    Klack

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