Totgeglaubt
höhere Ansprüche an einen Polizisten. Und sie wollte den Respekt vor einem Mann, den sie immer bewundert hatte, nicht verlieren.
“Bitte, lass mich nichts finden”, flüsterte sie vor sich hin. Dann nahm sie einen tiefen Atemzug, holte den Schlüssel unter der Fußmatte hervor und schloss die Hütte auf.
Es roch es nach Clay. Allie konnte es nicht fassen. Es war jetzt fast eine Woche her, dass sie hier gewesen waren, und trotzdem lag sein Aftershave noch in der Luft. Aber vielleicht bildete sie sich auch nur ein, es zu riechen, weil sie ihn so gerne bei sich gehabt hätte.
Sie sah sich im ganzen Raum um. Selbst jetzt, wo ihr Blick kritisch und zielgerichtet war, sprang ihr nichts entgegen, was auf Ehebruch hindeutete. Aber natürlich würde ihr Vater Hinweise auf seine Affäre auch nicht offen herumliegen lassen.
Sie musste nach kleinen, unscheinbaren Details schauen, die er übersehen hatte.
Um sich abzulenken, zappte Clay durch die Fernsehkanäle. Allie war wahrscheinlich schon in der Hütte und suchte nach Indizien für die Untreue ihres Vaters. Er konnte nicht abschätzen, ob sie welche finden würde oder nicht. Ihm selbst war nichts Verdächtiges aufgefallen. Aber natürlich hatte er nicht in den Schubladen, unterm Bett, im Bücherregal und im Schrank nachgeschaut. Theoretisch hätte seine Mutter überall winzige Spuren hinterlassen können. Und wenn Allie tatsächlich etwas fand, was ihren Argwohn nährte, würde es nur noch eine Frage der Zeit sein, bis sie der Wahrheit auf die Schliche kam.
Die einzige Chance war, dass seine Mutter jetzt stark blieb und sich von McCormick fernhielt.
Aber Clay hatte nicht allzu viel Hoffnung. “Ich habe mein Leben zur Hälfte hinter mir”, hatte sie am Morgen geklagt. “Warum muss ich mir alles versagen?”
Er hatte ihr die Gründe dafür in Erinnerung gerufen und sie zu sich auf die Farm eingeladen, um sie etwas abzulenken. Aber sie hatte abgelehnt. Er wäre sogar zu ihr gefahren, um sie im Auge zu behalten, wenn er das für praktikabel gehalten hätte. Aber er konnte sie schlecht rund um die Uhr überwachen.
Außerdem war er selbst aufgewühlt und hin- und hergerissen. Er musste ununterbrochen an Allie denken, wie sie, alleine in der Hütte, herausfand, dass ihr Vater mit seiner Mutter schlief.
Er schüttelte den Kopf. Allie würde ihn ebenso hassen wie seine Mutter. Wahrscheinlich würde sie sogar vermuten, dass er die ganze Zeit über Bescheid gewusst und sich insgeheim über sie lustig gemacht hatte.
Der Gedanke, dass sie sich von ihm betrogen fühlen könnte, quälte ihn. Aber auf der anderen Seite – er war ihr nichts schuldig! Er musste seine Familie beschützen, vor der ganzen Stadt und vor der Polizei. Und dazu zählte auch Allie. Sie war vor allem eines: Polizistin.
Und trotzdem … Clay stieß einen langen Seufzer aus und wechselte das Programm. Trotzdem wollte er sie vor dem Schmerz bewahren, den ihr die Wahrheit sicherlich zufügen würde.
Er schaltete den Fernseher aus und stand auf. Falls es Beweise für die Affäre ihres Vaters gab, dann hatte sie sie wahrscheinlich schon gefunden. Er würde zur Hütte fahren, sie – wenn nötig – trösten und sie dann sicher nach Hause bringen.
Aber wenn sie nichts gefunden hatte, dann würden sie sich in derselben Situation wiederfinden wie letztes Wochenende: Sie beide alleine – und zwischen sich nur ein neunzehn Jahre altes Geheimnis. Ein Geheimnis, das er allzu leicht vergaß, wenn er in ihrer Nähe war.
Fluchend setzte er sich wieder. Er würde nirgendwohin fahren. Er durfte sich nicht so viele Gedanken um Allie machen. Schließlich konnte er sich nicht gleichzeitig um sie
und
seine Familie kümmern. Denn die Liebe zu ihr würde seine Familie verraten. Und umgekehrt.
Allie leuchtete mit ihrer Taschenlampe unters Bett, dann hob sie die Matratze an. Sie hielt nach Sexspielzeug Ausschau, nach Unterwäsche oder einem lippenstiftverschmierten Hemd. Aber sie fand nichts.
Sie ging das Bücherregal durch, suchte nach pornographischen Fotos oder Notizen. Fehlanzeige.
Sie räumte den Schrank aus, auf der Suche nach Champagner oder Leckereien, die ihr Vater normalerweise nicht aß. Sie überprüfte alles, was ihr in den Sinn kam, aber sie stolperte über nichts Verdächtiges.
Dann ließ sie von der Mitte des Raumes ihren Blick noch einmal in jeden Winkel schweifen, nur um sicherzugehen, nichts übersehen zu haben. Aber ihr fiel nichts auf. Ein einzelner spärlich möblierter Raum bot auch nicht allzu
Weitere Kostenlose Bücher