Totgeglaubt
hatte, verschwunden – und damit auch ihr Handy und die Autoschlüssel. An der Stelle, wo die Tasche gestanden hatte, lag direkt neben Graces Brownies ein regendurchweichter Zettel.
Das Papier zerfiel fast, als sie es auseinanderfaltete. Trotzdem konnte sie die verschwommene Nachricht, die auf einem Computer getippt zu sein schien, noch entziffern:
Lassen Sie die Vergangenheit ruhen, oder Barker wird nicht der einzige Vermisste bleiben.
12. KAPITEL
D er Regen trommelte auf das Dach. Allie hatte sich in der Nähe des Feuers zusammengekauert. Sie hatte das Fenster mit einer Decke zugehängt, damit man sie von draußen nicht beobachten konnte, und sie hatte das Bücherregal vor die Tür geschoben. Es war keine perfekte Lösung, aber ohne Auto und Verständigungsmöglichkeit blieb ihr nicht viel anderes übrig. Jetzt hoffte sie nur, dass das Feuerholz noch bis zum Morgen reichte.
Jedes Geräusch, das von draußen hereindrang, ließ sie hochfahren: das Schlagen der Zweige gegen die Hüttenwand, das laute beständige Prasseln des Regens auf das Dach. Selbst das Knistern des Feuers machte sie nervös, denn womöglich überdeckte es die Geräusche, die jemand beim Herumschleichen um die Hütte machte.
Allerdings war das unwahrscheinlich, versuchte sie sich einzureden. Falls derjenige, der ihre Pistole gestohlen hatte, ihr hätte wehtun wollen, dann hätte er es längst getan. Sie hatte jetzt ein Küchenmesser zur Verteidigung, doch gegen eine Pistole konnte sie nicht viel ausrichten. Keine Frage: Bei der Abgeschiedenheit des Ortes war sie eine leichte Beute. Aber gerade deshalb bezweifelte sie, dass der nächtliche Besucher mit der Absicht gekommen war, ihr etwas anzutun. Fürs Erste war es ihm – oder ihr – nur darum gegangen, die Botschaft loszuwerden.
Dessen war sie sich ziemlich sicher. Und dennoch konnte sie sich nicht entspannen.
Sie hielt die Luft an und schloss die Augen, um sich auf die verschiedenen Geräusche – das Rascheln, das Klopfen und das Kratzen – zu konzentrieren. Doch letztlich half ihr die Konzentration nicht viel. Ihre Nerven spielten einfach nicht mehr mit. Sie vermochte nicht mehr zu sagen, was real und was eingebildet war.
Beruhige dich.
Die Innenfläche der Hand, mit der sie das Messer umklammert hielt, war mittlerweile schweißnass. Trotzdem lockerte sie ihren Griff nicht. Sie versuchte sich abzulenken, indem sie darüber nachdachte, wer ihr die Nachricht geschrieben haben könnte. Es musste jemand sein, der sie kannte und wusste, woran sie gerade arbeitete. Jemand, der mit dem Fall Barker vertraut und persönlich darin verwickelt war.
Dummerweise schränkte das die Anzahl der infrage kommenden Personen ziemlich ein. Die meisten Leute in Stillwater
wollten
, dass sie die Wahrheit herausfand. Die Montgomerys waren, vielleicht zusammen mit Jed Fowler, die Einzigen, die sich bei den Ermittlungen als nicht sonderlich entgegenkommend gezeigt hatten.
Konnte es Clay gewesen sein?
Der Gedanke hatte sich gegen ihren Willen eingeschlichen. Schließlich hatte sie niemand anderem erzählt, dass sie heute Abend hierherkommen wollte.
Aber Clay war zu schlau, um eine Nachricht zu schreiben, die seine Situation und die Beweislage gegen ihn noch verschärfen würde. Außerdem hatte er ihr abgeraten, allein hier herauszufahren. Hätte er sie ermutigt, eine Freundin mitzunehmen, wenn er geplant hätte, in ihr Auto einzubrechen und sie zu Tode zu erschrecken?
Nein, schwer vorstellbar. Es musste jemand anders gewesen sein. Jemand, der ihr weismachen wollte, dass es Clay gewesen war …
Joe Vincelli? Joes Vater oder jemand anders aus der Familie? Beth Ann?
Allie erstarrte, als sie das Klappen einer Autotür hörte. Vielleicht würde sie es jetzt herausfinden.
Sie rappelte sich auf und drückte sich gegen die Innenwand der Hütte, um das Geräusch näher kommender Fußstapfen besser orten zu können. Wer immer das war – durch die Tür würde er nicht hereinkommen. Aber er – oder sie – könnte das Fenster einschlagen.
Ein lautes Klopfen an der Tür ließ ihr fast die Beine wegsacken.
“Allie? Bist du da drinnen?”
Clay! Sie erkannte seine Stimme sofort und hätte fast seinen Namen gerufen. Aber im selben Augenblick fragte sie sich, ob sie vielleicht verrückt gewesen war, ihm so blind zu vertrauen. Hatte sie sich von seinem legendären Sex-Appeal betören lassen?
Möglich.
Alles
war möglich. Im Moment misstraute sie sich selbst, misstraute jedem.
“Allie, mach die Tür auf”, sagte
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