Totgeglaubt
sprechen.”
Die Wärme, die Allie vorhin noch in Graces strahlend blauen Augen gesehen hatte, war längst verschwunden. “Worüber?”
“Ich möchte Ihrem Bruder ebenfalls helfen.”
Schweigen. Dann: “Wie wollen Sie das anstellen?”
“Das weiß ich eben nicht genau”, gab Allie zu. “Darüber wollte ich mit Ihnen sprechen.”
“Was kann ich da tun? Ich habe Ihnen bereits alles gesagt, was ich über die fragliche Nacht weiß, in der mein Stiefvater verschwunden ist.”
Das Zuschlagen einer Autotür brachte Allie kurz aus dem Konzept. Jed hatte direkt vor ihrem Camry geparkt und kam jetzt zum Stand herüber.
“Sie haben von Beth Anns Behauptungen gehört”, sagte Allie schnell.
“Sie lügt.”
“Da sind wir uns beide einig, aber wir müssen es beweisen können.”
“Was kann ich diese Woche für Sie tun, Mr. Fowler?” Ted eilte dem neuen Kunden entgegen.
Allie spürte, wie Fowler und der Junge sich ihr von hinten näherten, und trat instinktiv einen Schritt zur Seite, um mehr Distanz zwischen sich und die beiden zu bringen. Aber sie drehte sich nicht noch einmal nach Jed um. Und der antwortete nicht auf Teddys Frage. Er reichte dem Jungen lediglich ein Glas Pfirsiche, einen Kuchen aus Süßkartoffeln und das abgezählte Geld.
Als Teddy seinem Bruder aufgeregt zuflüsterte, wie beschäftigt sie doch waren und wie viel Geld sie verdienten, vermutete Allie, dass Jed bereits den Rückweg zu seinem Pick-up angetreten hatte. Sie kümmerte sich nicht weiter um ihn und versuchte, Graces Aufmerksamkeit zurückzugewinnen. Die einzige Möglichkeit, zu ihr durchzudringen und sie zur Mitarbeit zu bewegen, da war Allie sich ganz sicher, bestand darin, an Graces Liebe zu Clay zu appellieren. Grace und Clay mochten ihre Meinungsverschiedenheiten gehabt haben, aber sie hatten sich davon nie entzweien lassen.
“Was meinen Sie?”, fragte sie. “Wollen Sie sich kurz mit mir setzen und ein paar Fragen beantworten, die ich noch nie loswerden konnte?”
“Ich weiß nicht”, sagte Grace bedrückt. “Ich weiß nicht, was wir noch erreichen können. Wir haben doch längst damit abgeschlossen.”
Allie wollte Grace erzählen, dass die Vincellis Freunde in Schlüsselpositionen hatten, die versuchten, ihren Vater unter Druck zu setzen, Strafanzeige zu stellen. Aber sie zögerte, so weit zu gehen. Grace stand kurz vor der Entbindung. Natürlich war Allie daran gelegen, Barkers Verschwinden aufzuklären, aber nicht um den Preis, bei Grace vorzeitige Wehen auszulösen oder ihr die Freude auf die Geburt zu verderben. “Wollen Sie mal darüber nachdenken?”
Grace nickte, und Allie ergriff kurz ihren Arm. “Vertrauen Sie mir. Ich bin auf Ihrer Seite”, flüsterte sie mit ernster Miene, drehte sich um und rannte beinahe in Jed Fowler hinein.
“Entschuldigung”, murmelte sie, verärgert darüber, dass Jed offenbar an jeder Ecke lauerte. Dann ging sie zu ihrem Auto und fuhr davon.
Allie erreichte die Hütte viel später, als sie gehofft hatte. Ein Sattelschlepper mit zwei dreckverkrusteten Anhängern war auf dem Highway umgekippt und hatte einen Stau verursacht, in dem sie mehr als zwei Stunden gestanden hatte. Und dann hatte es angefangen zu regnen, zunächst noch ganz leicht, aber als sie endlich ankam, goss es in Strömen und war stockdunkel.
“Mein Glückstag”, murmelte sie und starrte kläglich auf die dicken Tropfen, die gegen die Windschutzscheibe prasselten. Sie war versucht, umzudrehen und heimzufahren. Plötzlich hatte sie keine große Lust mehr, so spät nachts hier draußen alleine zu sein. Und sie hatte ebenso wenig Lust, zu finden, wonach sie suchte.
Aber jetzt hatte sie die lange Fahrt nun schon unternommen. Es machte wenig Sinn, bereits aufzugeben, bevor sie überhaupt ausgestiegen war.
Sie steckte ihr nicht eben reichhaltiges Abendessen und die Brownies ein und schlug die Autotür zu. Aber als sie unter dem schmalen Vordach der Hütte stand, zögerte sie erneut und spähte hinein. Sie war nervös und besorgt.
Was, wenn Dad sich tatsächlich mit einer anderen Frau trifft? Soll ich ihn zur Rede stellen? Oder soll ich sein schmutziges Geheimnis wahren? Was ist das Beste für meine Eltern?
Trotz seiner cholerischen Ader liebte Allie ihren Vater nicht weniger, als sie Evelyn liebte. Aber sie war sich nicht sicher, wie sie zu ihm stehen würde, wenn sie Beweise für seine Untreue fände. Die Tatsache, dass er Polizist war, machte die Sache nur noch schwieriger für sie, denn sie stellte
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