Totgeglaubte leben länger: 8. Fall mit Tempe Brennan
ein Verwandter mütterlicherseits.«
»Aber der Zahn gehörte nicht in diesen Kiefer. Wie kam er da hin?«
»Meine Vermutung ist, dass es ein schlichtes Versehen war. Wahrscheinlich ist der Zahn aus dem Kiefer eines Schädels in den vermischten Überresten gefallen und wurde dann irrtümlich in den Schädel des anatomisch korrekt angeordneten Skeletts eingesetzt. Vielleicht bei der Bergung. Vielleicht beim Transport. In Haas’ Institut konnte es nicht passiert sein. Wir wissen, dass Haas Max nie gesehen hat.«
»Also war mindestens eine Person in Höhle 2001 unbestreitbar verwandt mit den Leuten im Kidron-Grab. Was zum Teufel hatte ein Mitglied dieser Familie oben in Masada zu schaffen?«
Jake ging zum Fenster, steckte die Hände in die Taschen und schaute nach unten. Ich wartete, während er eigenen Gedanken nachhing.
»Yadin wollte nicht über die Höhlenbestattungen reden. Haas hatte keinen Bericht darüber.« Jake sprach mit gedämpfter Stimme. »Natürlich. Das waren keine Zeloten. Da oben in der Höhle lebte eine Gruppe Nazarener.«
Eigentlich sprach Jake gar nicht mit mir, doch er hatte meine volle Aufmerksamkeit.
»Worüber sind wir da nur gestolpert? Wer war dieser Max? Warum wurde dieses eine Skelett nicht an Haas übergeben? Wer war in dem Loculus im Kidron-Grab versteckt? Warum wurden die Knochen nie wieder eingesammelt und in ein Ossuar gelegt?«
Es klang, als würde er einfach nur laut denken.
»Jesus-Anhänger in Masada, einer davon mit genetischen Verbindungen zu dem Grab im Kidron. Einer davon ein Mitglied der Heiligen Familie. Und um das zu beweisen, muss ich beweisen, dass das Jakobus-Ossuar aus diesem Grab stammte.«
Jake drehte sich um, und in seinen Augen loderte etwas, bei dem es mir die Sprache verschlug.
»Ich dachte, wir hätten zwei voneinander unabhängige Funde, die beide für sich genommen schon sensationell sind. Aber das stimmt nicht. Das hängt alles zusammen. Das verschwundene Masada-Skelett und das Kidron-Grab sind beides Teile derselben Geschichte. Und das ist ein Riesending, vielleicht die größte Entdeckung des Jahrhunderts. Mann, des Jahrtausends.«
Jake ging zum Tisch zurück, nahm den Anthropologiebericht zur Hand, legte ihn wieder weg, berührte ein Ossuar-Foto, dann ein zweites, stapelte die Fotos aufeinander, legte den Bericht oben drauf, fuhr mit den Finger um die Kante.
»Das ist größer, als sogar ich es mir vorgestellt habe, Tempe. Und gefährlicher.«
»Gefährlich? Wir haben Max doch gar nicht mehr. Und kein Mensch weiß etwas von den Knochen im Leichentuch.«
»Noch nicht.«
»Es wird Zeit, dass wir Blotnik benachrichtigen.«
Jake wirbelte zu mir herum. »Nein!«
Ich zuckte zusammen, als hätte mich ein Stromschlag getroffen.
Jake hob entschuldigend die Hand.
»Tut mir Leid. Mein Kopf macht mir wieder Schwierigkeiten. Es ist nur … ich … Nicht Blotnik.«
»Jake, lässt du dir von deinen Gefühlen dein Urteilsvermögen trüben?«
»Blotnik war vielleicht früher mal wer«, schnaubte Jake. »Und das ist noch freundlich gesagt. Er war noch nie so richtig wer. Und er ist ein richtiges Arschloch.«
»Blotnik könnte Caligula sein, aber er ist der Leiter der IAA. Der Mann muss doch etwas getan haben, um sich diesen Posten zu verdienen.«
»Er hat in den Sechzigern mal ein paar brillante Artikel geschrieben, die akademische Welt lag ihm zu Füßen, und er erhielt eine Menge lukrativer Angebote. Dann lehnte er sich zurück und schrieb nie mehr irgendwas von Bedeutung. Jetzt reitet er auf dem Rücken anderer.«
»Trotz deiner Meinung über Blotnik hat die IAA das Sagen, was die Altertümer in diesem Land angeht.«
Draußen wurde eine Autotür zugeschlagen. Jakes Blick schnellte zum Fenster, zu dem verschlossenen Schrank, dann wieder zu mir. Mit einem Seufzer nahm er einen Kugelschreiber zur Hand und klickte die Miene raus und rein.
»Ich besuche noch heute Nachmittag Ruth Anne Bloom.«
»Bloom ist die biologische Anthropologin, die für die IAA arbeitet?«
Jake nickte.
»Erzählst du ihr von den Knochen im Leichentuch?«
»Ja.« Mit seiner freien Hand kniff Jake sich den Nasenrücken.
»Das sagst du jetzt nicht nur so?«
»Das sage ich nicht nur so.« Jake warf den Kuli auf den Tisch. »Du hast Recht. Es ist zu riskant, die Knochen hier zu behalten.«
Riskant für wen, fragte ich mich und sah zu, wie Jake wieder zum Fenster ging. Für die Knochen? Für Jake? Für Jakes Karriere? Ich kannte meinen Freund. Auch er hatte akademischen
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