Totgeglaubte leben länger: 8. Fall mit Tempe Brennan
über die Kontakte zwischen Joyce und Max Grosset erzählt hatte, war korrekt gewesen. Nach Joyce war Grosset ein amerikanischer Professor mit britischem Akzent. Der als freiwilliger Archäologe in Masada gearbeitet hatte. Grosset erzählte Joyce, bei einem zufälligen Zusammentreffen auf dem Ben-Gurion-Flughafen im Dezember vierundsechzig, dass er in der eben abgeschlossenen Grabungssaison die Jesus-Schriftrolle entdeckt und sie versteckt habe und dann nach Masada zurückgekehrt sei, um sie zu holen.
Joyce durfte in der Herrentoilette des Flughafens einen Blick auf die Schriftrolle werfen. Für Joyce sah die Schrift Hebräisch aus. Grosset sagte, es sei Aramäisch, und übersetzte die erste Zeile. Yeshua ben Ya’akob Gennesareth. »Jesus von Genezareth, Sohn den Jakob.« Der Verfasser hatte die erstaunliche Information hinzugefügt, dass er der Letzte in der Linie der makkabäischen Könige Israels sei.
Obwohl Grosset Joyce fünftausend Dollar anbot, weigerte der sich, ihm dabei zu helfen, die Schriftrolle aus Israel herauszuschmuggeln. Grosset schaffte es alleine, und die Schriftrolle landete schließlich in Russland.
Da Joyce anschließend wegen der verweigerten Besuchserlaubnis für Masada nicht in der Lage war, sein ursprüngliches Buchprojekt weiter zu verfolgen, und da er fasziniert war von dem, was er in der Toilette in Ben-Gurion gesehen hatte, hatte Joyce den Namen auf der Schriftrolle recherchiert. Die Bezeichnung »Sohn des Jakob« war benutzt worden, so Joyces Schlussfolgerung, weil Joseph kinderlos gestorben war und, so verlangte es das jüdische Gesetz, sein Bruder Jakob Marias uneheliches Kind aufgezogen hatte. »Gennesareth« meinte, wie zu vermuten war, den See Genezareth.
Joyce war so überzeugt von der Authentizität der Schriftrolle, dass er die nächsten acht Jahre damit zubrachte, das Leben Jesu zu erforschen.
Ich las noch immer, als Ryan mit genug Essen ankam, um Guadalajara zu ernähren.
Ich öffnete mir eine Dose Diet Coke. Ryan nahm sich eine Flasche Moosehead. Während wir Enchiladas aßen, erzählte ich ihm das Wichtigste.
»Jesus betrachtete sich als Abkömmling der hasmonäischen Linie.«
Ryan schaute mich an.
»Der makkabäischen Könige. Seine Bewegung war nicht nur eine religiöse. Es war ein Griff nach der politischen Macht.«
»Na toll. Noch eine Verschwörungstheorie.« Ryan tauchte einen Finger in die Guacamole. Ich gab ihm eine Tortilla.
»Laut Joyce wollte Jesus König von Israel werden. Das verärgerte Rom, und die Strafe war der Tod. Aber Jesus wurde nicht verraten, er ergab sich den Behörden nach Verhandlungen durch einen Vermittler.«
»Lass mich raten. Judas?«
»Ja. Die Abmachung lautete, dass Pilatus Barabbas freilassen und Jesus sich anschließend stellen würde.«
»Und warum sollte er das tun?«
»Barabbas war sein Sohn.«
»Verstehe.« Ryan glaubte von alldem kein Wort.
»Zu dem Gefangenenaustausch gehörte auch ein Fluchtmechanismus, und der ganze Plan hing von sehr präzisem Timing ab.«
»Das ganze Leben ist Timing.«
»Willst du die Geschichte zu Ende hören?«
»Besteht vielleicht die Möglichkeit, jetzt gleich ins Bett zu gehen?«
Ich kniff die Augen zusammen.
»Dann will ich sie hören.«
»Es gab zwei Arten der Kreuzigung – eine langsame und eine schnelle. Bei der langsamen konnte es sein, dass ein Gefangener bis zu sieben Tage am Kreuz hing. Bei der schnellen war man binnen vierundzwanzig Stunden tot. Nach Joyce mussten Jesus und seine Anhänger seine Exekution so timen, dass die schnelle Variante die einzige Möglichkeit war.«
»Ich würde mich auch für schnell entscheiden.«
»Der shabbat stand bevor. Und das Passah-Fest. Nach jüdischem Gesetz durfte kein Leichnam an einem Kreuz bleiben.«
»Aber die Kreuzigung war doch eine römische Show.« Ryan nahm sich noch eine Enchilada. »Historiker sind übereinstimmend der Meinung, dass Pilatus ein Tyrann und ein brutaler Kerl war. Warum hätte er sich einen Dreck um jüdisches Gesetz kümmern sollen?«
»Es lag in Pilatus’ Interesse, die Einheimischen bei Laune zu halten. Wie auch immer, der Plan erforderte eine Droge, die den Tod simulierte. Papaver somniferum oder Claviceps purpurea. «
»Ich liebe es, wenn du schweinische Wörter sagst.«
»Schlafmohn und Mutterkorn, ein Lysergsäure produzierender Pilz. Modern ausgedrückt, Heroin und LSD. Beides war in Judäa bekannt. Die Droge wurde wahrscheinlich über den Schwamm auf dem Rohr verabreicht. Nach den Evangelien lehnte
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