Totgeglaubte leben länger: 8. Fall mit Tempe Brennan
Erklärungsnöten.«
»Darauf kannst du Gift nehmen. Die Vorstellung von Maria als Mama ist für den Vatikan ein Riesenproblem. O Mann, auch wenn der Kasten nur bedeutet, dass Joseph andere Kinder hatte, ist das immer noch ein Problem. Denn das heißt, dass Joseph seine Frauen befruchtet hat. Und wieder ist die Glaubwürdigkeit des Vatikans beim Teufel.«
Die Krähe hatte Gesellschaft bekommen. Einige Augenblicke schaute ich zu, wie die Vögel sich um das Aas stritten.
Okay. Das Jakobus-Ossuar stellte die Jungfräulichkeit Mariä in Frage. Ich begriff jetzt, dass das dem Vatikan nicht passte. Ich sah aber auch durchaus die Möglichkeit, dass christliche oder moslemische Radikale das Jakobus-Ossuar in ihren Besitz bringen wollten. Ich dachte an Morissonneaus Argumentation. Den Glauben retten. Den Glauben zerstören. Aber in welcher Verbindung stand das Ossuar mit dem Masada-Skelett? Gab es überhaupt eine? Waren die beiden Fundstücke nur zufällig zur selben Zeit aufgetaucht?
»Was hat das Jakobus-Ossuar mit Morissonneaus Skelett zu tun?«
Jake zögerte. »Ich bin mir nicht ganz sicher. Noch nicht. Aber es gibt einen interessanten Nebenaspekt. Oded Golan arbeitete als Freiwilliger in Masada.«
»Für Yigael Yadin?«, fragte ich.
Jake nickte und musterte noch einmal die Umgebung. Ich wollte näher auf die Beziehung zwischen Max und dem Jakobus-Ossuar eingehen, aber Jake ließ mir keine Chance dazu.
»Gehen wir.«
»Wohin?«, fragte ich.
»Zum Familiengrab Jesu.«
20
Bevor ich reagieren konnte, stieg Jake aus dem Transporter. Die Krähen schrien verärgert und flatterten auf.
Jake griff hinter seinen Sitz und steckte diverse Dinge aus seinem Rucksack ins Außenfach meiner Sporttasche. Dann hob er sich die Tasche auf die Schulter, schaute sich noch einmal um, sperrte die Fahrertür zu und ging los.
Ich folgte ihm, und eine Kaskade von Fragen rauschte mir durchs Hirn.
Das Familiengrab Jesu? Im Fall einer Authentifizierung wäre ein solcher Fund eine Riesensensation. CNN, BBC, ein Weltereignis.
Was für einen Beweis hatte Jake?
Warum hatte er es mir erst jetzt erzählt?
Was für eine Verbindung gab es zwischen diesem Grab und den Knochen, die ich aus l’Abbaye Sainte-Marie-des-Neiges mitgenommen hatte? Und dem Jakobus-Ossuar?
Ich spürte Angst.
Ich spürte Ehrfurcht.
Ich spürte heftige Aufregung.
Nach zehn Metern den Hügel hinunter blieb Jake auf einer Felskante stehen.
»Wir stehen jetzt am Rand des Kidron-Tals.« Jake deutete in die Schlucht zu unseren Füßen. »Das Kidron stößt ein Stück südlich von hier auf das Hinnom und biegt dann nach Westen ab.«
Anscheinend schaute ich völlig verständnislos drein.
»Das Hinnom-Tal erstreckt sich vom Jaffa-Tor an der Westseite der Altstadt nach Süden und dann in östlicher Richtung an der Südseite des Bergs Zion entlang, bis es auf das Kidron stößt. Das Kidron trennt den Tempelberg vom Ölberg auf der Ostseite der Stadt.« Jake deutete in die entsprechende Richtung. »Dort drüben. Was weißt du über das Hinnom?«
»Eigentlich nichts.«
»Die Gegend hat eine ziemlich lebhafte Geschichte: In vorchristlicher Zeit wurden im Hinnom den Göttern Moloch und Baal angeblich Babys geopfert. Die Juden machten aus dem Tal eine städtische Müllkippe – Abfall, alles, was als unrein betrachtet wurde, auch die Leichen hingerichteter Verbrecher, all das wurde hier verbrannt. In der späteren jüdischen Literatur wurde das Tal Ge-Hinnom genannt, und im Griechischen des Neuen Testaments hieß es Gehenna. Wegen der Müllfeuer lieferte das Hinnom den bildlichen Hintergrund für die Vorstellung einer lodernden Hölle im Buch Jesaja und im Neuen Testament. ›Gehenna‹ ist die Wurzel des Wortes ›Hölle‹.«
Jake deutete mit dem Daumen auf einen uralten Baum hinter mir. »Angeblich hatte sich Judas dort aufgehängt. Nach der Überlieferung fiel seine Leiche von diesem Baum und wurde ausgeweidet.«
»Und du glaubst nicht, dass das der tatsächliche Baum ist …«
Ein kleiner Vogel sauste zwischen uns hindurch, so schnell, dass ich seine Farbe nicht erkennen konnte. Jake riss einen Arm in die Höhe und rutschte dabei mit einem Fuß aus. Kiesel rieselten nach unten.
Mir schoss das Adrenalin durch die Adern.
Als Jake wieder festen Boden unter den Füßen hatte, fuhr er mit einer Frage fort.
»Wohin kam Jesus nach der Kreuzigung, glaubt man der Bibel?«
»In ein Grabmal.«
»Er stieg hinab in die Hölle und stand am dritten Tage wieder auf.
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