Totgeglaubte leben länger: 8. Fall mit Tempe Brennan
vergessen, und ich zog mich nach oben.
Kurz unterhalb der oberen Tunnelöffnung hielt ich inne und spähte hinaus wie ein Präriehund aus seinem Loch.
Die obere Kammer wirkte leer. Kein Jake. Kein Schakal.
»Jake!«, zischte ich.
Keine Antwort.
»Jake!«, wiederholte ich, so laut es ging, ohne die Stimmbänder zu benutzen.
Dasselbe.
Ich stemmte mich mit den Füßen ab, streckte die Arme aus dem Loch und zog und stemmte mich in die obere Kammer.
Jake war nirgends zu sehen.
Ohne auf die Proteste von Schulter und Hüfte zu achten, kauerte ich mich auf den Boden und ließ den Lampenstrahl durch die Kammer wandern.
Ich war allein.
Ich horchte.
Nicht das leiseste Geräusch drang herein.
Mit einer schnellen Drehung bewegte ich den Strahl durch die samtige Schwärze.
In der Dunkelheit eines nördlichen Loculus blitzte Blau auf.
Was zum Teufel?
Dann fiel es mir wieder ein.
Ich hielt das Licht darauf. Ich hatte Recht. Die Sporttasche.
Aber warum? Wo war Jake?
»Jake?« Jetzt in voller Lautstärke.
Ich ließ mich auf alle viere sinken und kroch auf den Loculus zu, hielt dann aber inne. Jake hatte die Tasche aus einem bestimmten Grund versteckt. Ich drehte mich um und kroch zum Eingang des Grabs.
In diesem Augenblick hörte ich das erste Geräusch seit dem Verlassen des Tunnels. Ich erstarrte und hielt den Kopf schief.
Eine gedämpfte Stimme.
Noch eine.
Rufen.
Jakes Stimme. Wörter, die ich nicht verstand. Hebräisch?
Noch mehr Wörter, die mir nichts sagten. Wütende Wörter.
Ein dumpfer Schlag. Noch einer.
Schnell näher kommende Schritte.
Die Schwärze wurde noch schwärzer. Ich schaute zum Eingang.
Beine verdunkelten das kleine, eben noch sonnenhelle Quadrat.
22
Einen Herzschlag später schnellten Stiefel in das Grab. Ein Körper folgte. Ein großer Körper.
Ich kroch rückwärts und drückte mich an die Wand. Zerdrückte Dosen stachen mir in die Knie, Ringpull-Verschlüsse ritzten mir die Handflächen.
Wieder fiel mir der Mann auf dem Klippenrand ein. Mein Herz raste. Heilige Mutter Gottes! Würde ich diesen Tag überleben?
Ich umklammerte die Taschenlampe und hob sie zum Schlag.
Die Gestalt kauerte mit dem Rücken zu mir. Mein Strahl beleuchtete Kokospalmen auf Waikiki-Blau.
Zum ersten Mal, seit ich die Beine gesehen hatte, atmete ich wieder. Draußen waren Schüsse zu hören.
»Was zum Teufel ist denn da los?«
»Hevrat Kadisha.« Jake schleuderte die Wörter über die Schulter, ohne den Blick vom Eingang zu nehmen.
»Ich spreche kein Hebräisch.«
»Die gottverdammte Knochenpolizei.« Jake keuchte vor Anstrengung.
Ich wartete auf eine Erklärung.
»Da’ ataim.«
»Jetzt ist mir alles klar.«
»Die Ultra-Orthodoxen.«
»Die sind hier?« Ich stellte mir Männer in shtreimel und peyos vor, die den Abhang des Kidron-Tals herunterstürmten.
»In Truppenstärke.«
»Warum?«
»Sie glauben, wir haben hier drinnen menschliche Knochen.«
»Wir haben ja wirklich menschliche Knochen hier drinnen.«
»Sie wollen sie.«
»Was sollen wir tun?«
»Abwarten.«
»Meinst du, sie gehen wieder?«
»Irgendwann schon.«
Das war nicht sehr ermutigend.
»Das ist doch Wahnsinn«, sagte ich, nachdem ich ein paar Augenblicke dem Geschrei draußen zugehört hatte.
»Diese Trottel tauchen die ganze Zeit bei Ausgrabungen auf.«
»Warum?«
»Um Ärger zu machen. Scheiße, oft brauchen wir die Polizei, nur damit wir unsere Arbeit machen können.«
»Ich dachte, man kommt nur mit einer Genehmigung auf eine archäologische Grabungsstätte.«
»Das ist diesen Spinnern egal. Sie haben was gegen das Ausgraben von Toten, egal, aus welchem Grund, und sie machen Krawall, um eine Ausgrabung zu stoppen.«
»Vertreten die eine Mehrheitsmeinung?« Ich stellte mir die bärtigen Männer mit hochgereckten Postern und Plakaten vor.
»Gott sei Dank nicht.«
Draußen verstummten die Stimmen allmählich. Irgendwie fand ich die Stille noch beunruhigender als das Geschrei.
Ich erzählte Jake von dem Schakal.
»Bist du sicher, dass es ein Schakal war?«
»Ich bin sicher«, sagte ich.
»Ich habe kein Tier aus dem Grab laufen sehen.«
»Das Weibchen hat sich sehr schnell bewegt.«
»Und ich war auf diese Trottel da draußen konzentriert. Alles in Ordnung mit dir?«
»Mir geht’s gut.«
»Tut mir Leid«, sagte Jake. »Ich hätte nachsehen sollen, bevor ich runterkam.«
Ich stimmte ihm von ganzem Herzen zu.
Die Stille vor dem Grab dauerte an.
Ich richtete die Taschenlampe auf meine Uhr. Neun Uhr
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