totgequatscht: Maggie Abendroth und der Teppich des Todes (German Edition)
schreibt. Denn als Callcenter Agent kämpft man einen einsamen Kampf gegen Menschenhass, Hörsturz und Zungenlähmung.
»Guten Tag, Quality-TV, mein Name ist Maggie Abendroth. Was kann ich für Sie tun?«, leierte ich die Begrüßung herunter, bog dabei eine Büroklammer auf und zu und wartete darauf, dass der Anrufer mir seine Wünsche mitteilte. Mir tat der Nacken weh, und ich hatte den Eindruck, bereits mit halb Deutschland telefoniert zu haben.
Statt einer Begrüßung wurde mir ohne Vorwarnung ein Niesanfall ins Ohr geblasen. Ich zog das Headset weg und wartete. Nach mehreren Sekunden sagte ich: »Gesundheit.«
»Da-Dan... Arch ... Tschi!«, kam es vom anderen Ende. Na gut, ich hatte heute nicht mehr so viel vor. Eingepfercht in einer Ein-Quadratmeter-Box, genannt Cube, bestehend aus einem Schreibtisch, umgeben mit siebzig Zentimeter hohen Schallschutzwänden, hing ich wie ein Kettenhund an einem Spiralkabel, das meinen Kopfhörer mit dem Telefon verband, und war der Kundschaft ausgeliefert. Denn sobald ein Anrufer aufgelegt hatte, war automatisch schon der nächste in der Leitung. Was zur Folge hatte, dass man während einer sogenannten Warteschleife von seinem Cube nur wegkam, wenn man nach dem Notarzt rief oder entkräftet vom Stuhl fiel.
Der Niesanfall meiner Kundin verschaffte mir eine Verschnaufpause, und ich trank einen Schluck Wasser. Der Geist der Weihnacht hatte die Geschäftsleitung gnädig gestimmt, und irgendjemand in den oberen Etagen des Hühnerstalls hatte angeordnet, dass das Wassertrinken am Arbeitsplatz ausnahmsweise so geräuschlos wie möglich, bitte, gestattet sei. So lautete die Mitteilung, die vor ein paar Tagen jeder Mitarbeiter in seinem Fach gefunden hatte. Auf dem Wisch hatte auch gestanden, dass in den Großraumbüros, wo immerhin über achtzig Callcenter Agents pro Etage saßen und ebenso viele Computer heiß liefen, die Fenster nicht geöffnet werden durften, weil sonst die Klimaanlage durchdrehte. Dementsprechend roch es in allen Etagen nach schlampiger Bodenhaltung mit gebietsweisem Missbrauch von billigem Parfüm, und die Luftfeuchtigkeit tendierte gegen null. Welche Systeme bei uns, dem lebenden Inventar, in absehbarer Zeit durchdrehen würden, interessierte niemanden.
»Hallo, sind Sie noch dran?«, sagte ich. Ich hörte Geraschel, dann ein nasales »Entschuldigung«, dann trompete die Dame in ihr Taschentuch. »Lassen Sie sich Zeit«, sagte ich und warf einen Blick auf einen der zehn Fernseher, die im Raum unter der Decke verteilt hingen, und schaute unserer Geschmeide-Königin bei der Arbeit zu. Sonja, unterm Solarium dauerangekokelt und bis zum tief liegenden Dekolleté faltig wie ein Elefantenhintern, breitete mehrere Ringe auf einem roten Samtkissen aus und quiekte in den höchsten Tönen ein paar Takte von
Diamonds are a girls best friend
. Ihre haselnussbraunen Falten steckten in einem knallengen roten Santa-Claus-Outfit, und die Zipfelmütze rutschte ihr alle paar Minuten ins Gesicht. Sie ließ ihre blendend weißen Veneers aufblitzen, warf den Bommel wieder zurück und schob ihren hochgepushten Busen noch weiter in die Kamera. »Das alles, meine Damen und Herren – das alles bekommen Sie für den sagenhaften Preis von ...? Na?! Halten Sie sich fest: 299,99 Euro. Vier Weißgoldringe in hochwertiger Ausführung. Die Steine sind Brillanique-Synthes-Steine, nicht zu unterscheiden von richtigen Diamanten«, gurrte sie. »Das ist Qualität, die Ihr Portemonnaie nicht strapaziert. Schauen Sie nur, wie die funkeln. Eins, zwei, drei, VIER RINGE. Meine Herren, denken Sie an Weihnachten, denken Sie an Ihre liebe Frau zu Hause, und machen Sie sich und ihr eine Freude. Das Strahlen von Brillanique wird sich in den Augen Ihrer Frau widerspiegeln.« Sonja rollte ekstatisch mit den Augen. In einem anderen Kontext hätte man auf Tollwut getippt und ihr vorsorglich eine Spritze verpasst. Aber bei Quality-TV war den Moderatoren alles erlaubt außer Sprachlosigkeit und Striptease.
Die Anzeigetafel blinkte rot: 633. Ich hätte nie gedacht, dass in Deutschland ein so deutlicher Mangel an Talmi herrschte.
»Hallo? Sind Sie noch da?«, pfiff es durch den Hörer.
»Aber sicher. Wie kann ich Ihnen helfen?«, nahm ich das Gespräch wieder auf.
»Bestellnummer QTV-6786767787«, rasselte die Kundin. Auf dem Bildschirm wurde die Zahl der noch zur Verfügung stehenden Geschmeide-Sets angezeigt, die rasant gegen null ging.
»Zunächst brauche ich Ihre Kundennummer, bitte«, sagte ich.
Die
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