Totgeschwiegen (Bellosguardo)
erreichten sie endlich ihr Ziel. Alexander bog in einen unbefestigten Feldweg ein und ein paar Kurven später stand das Haus auch schon vor ihnen.
„Herzlich willkommen in Bellosguardo“, rief Alexander aus und sah sie begeistert an.
Isabelle warf ihrem Mann einen verwirrten Blick zu.
„Bellosguardo heißt : Schöner Ausblick. Katharina hat dieses Haus so genannt, weil es so eine wunderbare Lage hat. Von der Terrasse, auf der Hinterseite des Hauses, hat man einen Blick über das Tal und auf die wunderschönen Hügelketten.“
Bellosguardo? Das hörte sich mehr nach einem herrschaftlichen Anwesen an. Vor ihr lag jedoch ein altes Bauernhaus mit einer anliegenden Scheune. Die braunen Fensterläden waren verschlossen. Das Haus strahlte, an diesem trüben Novembervormittag, von außen nichts besonders heimeliges aus. Eher kalt und verlassen wirkte es auf sie, was vielleicht auch daran lag, dass weit und breit kein weiteres Haus in Sicht war.
„Das liegt ja ganz schön einsam“, sagte sie und bereute ihren Kommentar sofort. War das zu abweisend gewesen?
„So einsam ist es hier gar nicht. Wir sind doch gerade noch an Häusern vorbeigekommen, Schatz. Es kommt dir sicher nur so vor, weil es etwas verlassen wirkt. Aber die Putzfrau war hoffentlich da und sie müsste die Betten frisch bezogen haben. Sie hätte natürlich die Fensterläden mal aufmachen können, aber an so etwas denkt die gute Maria nicht.“
Alexander stieg aus dem Wagen und schloss die große schwere Haustür auf. Isabelle folgte ihm etwas zögernd in das Haus. Drinnen war es dunkel . Es wirkte unbewohnt und roch ungelüftet. Alexander machte sich umgehend an den Fensterläden zu schaffen. Als das Tageslicht hineinflutete, konnte sich Isabelle einen ersten Eindruck verschaffen.
Der Fußboden war toll. Ein sehr schöner heller Naturstein. Aber der Rest ... Schweigend folgte sie Alexander durch das Haus. Im Erdgeschoß befand sich eine große Wohnküche, in deren Mitte ein wunderschöner alter Tisch stand, die Küchenzeile hatte allerdings ihre Glanzzeit bereits hinter sich. Alexander schien ihren kritischen Blick zu bemerken.
„Die Küche ist nicht so toll, Katharina wollte die eigentlich rausreißen, überhaupt hatte sie geplant , einiges im Haus zu verändern. Aber ...“ Er zuckte mit den Schultern und ging voraus ins Wohnzimmer, welches sich als eine Rumpelkammer aus zusammengewürfelten Möbelstücken entpuppte. Isabelle hatte gewusst, dass er hier die Möbel aus München aufbewahrte, aber sie hatte nicht damit gerechnet, dass es so aussehen würde.
Im Erdgeschoß befanden sich noch ein Gästezimmer und Katharinas ehemaliges Arbeitszimmer sowie ein großes Bad. Auch hier sah Isabelle sofort den Renovierungsbedarf. Im ersten Stock sah es auch nicht anders aus. Annas und Mayas Zimmer, Alexanders Arbeitszimmer, ein weiteres Gästezimmer plus zwei Badezimmer. Zuletzt zeigte er ihr sein Schlafzimmer. Kurz stockte ihr der Atem, als sie das Zimmer betrat. Mit nur einem Blick konnte sie erkennen, welches seine Seite des Bettes war und welche die von Katharina gewesen war. Auf dem Nachttisch von Katharinas Seite lag noch ein Liebesroman. Bilderrahmen mit Fotos von Alexander und den beiden Töchtern standen dahinter. Neben der Seite des Bettes waren fünf Paar Flip Flops, in bunten knalligen Farben, sorgfältig nebeneinander an der Wand aufgereiht. Von der Größe her zu urteilen, waren es ebenfalls Katharinas. Alles in dem Zimmer sah danach aus, als ob die Frau des Hauses sich heute Abend wieder in ihr Bett legen und vor dem Einschlafen noch ein paar Seiten in dem Liebesroman lesen würde. Aber die Frau war seit drei Jahren tot.
Hatte Alexander womöglich den Tod seiner Frau noch gar nicht verarbeitet?
Wenn sie sich doch nur mehr Zeit gelassen hätten. Warum war sie nicht auf die Idee gekommen, mit ihm hierher zu fahren, bevor sie ihm das Ja Wort gegeben hatte?
Dann wäre sie zumindest vorgewarnt gewesen.
Isabelle ließ die Schultern hängen und stieß unbeabsichtigt einen lauten Seufzer aus. Alexander schreckte hoch und schob blitzschnell den Brief, den er zu schreiben schien, unter einen Stapel Papier und drehte sich zu ihr um .
„Isabelle, du hast mich erschreckt.“ Unsicher sah er sie an.
Bei was habe ich dich gestört?
Aber diese Frage traute sie sich nicht, auszusprechen. Er wirkte, als ob sie ihm bei etwas erwischt hätte, in das sie keinen Einblick haben sollte. Hatte Alexander Geheimnisse vor ihr oder lag ihre Verunsicherung
Weitere Kostenlose Bücher