Totgeschwiegen (Bellosguardo)
angenommen. Von einem schönen Ausblick, der den Namen Bellosguardo rechtfertigte, konnte im Moment nicht die Rede sein.
Aber bei Sonne sieht das hier bestimmt alles ganz wunderschön aus .
Was habe ich mir auch gedacht? Dass ich mich hier auf Anhieb wohlfühle? Wie naiv bist du eigentlich, Isabelle!
Sie war froh, dass sie Sophia nicht mitgenommen hatte. Ihre Tochter hätte zwar einen großen Spaß dabei gehabt, hier in diesem Haus, zwischen dem ganzen Kram, Verstecken zu spielen, aber ihr Instinkt hatte ihr gesagt, dass sie sich den Ort, an dem die große Familienzusammenführung stattfinden sollte, besser zuerst alleine anschauen sollte. Und ihre Intuition hatte sie nicht getäuscht.
Bei der Vorstellung, dass sie hier alle in sechs Wochen in weihnachtlicher Stimmung versammelt sein würden, krampfte sich ihr Magen zusammen.
Da würde sie endlich Anna kennenlernen. Das Mädchen, das nun immerhin schon mal wusste, dass es sie gab, aber keinen blassen Schimmer davon hatte, dass ihr Vater erneut den Bund fürs Leben eingegangen war. Wie Alexander immer wieder betont hatte, müsste man mit Anna behutsam umgehen. Mit Maya schien es wohl alles etwas lockerer zu sein, aber leider ließ die sich nicht dazu bewegen, ihre australische Farmarbeit zu unterbrechen.
Zu Isabelles großer Erleichterung hatte sich Constantin angekündigt. Ihr Sohn war immer auf ihrer Seite. Na ja, wie auch ihre Mutter, die es sich nicht nehmen lassen wollte, hier mit ihnen zu feiern. Aber dann wären sie gegen Anna und Alexander reichlich in der Überzahl. Wäre das für Anna nicht ein wenig zu viel des Guten? Wie würde sie sich fühlen, wenn sie in ihrem Haus auf einmal eine komplett neue Familie erdulden müsste und das auch noch im Alter von 17 Jahren?
Nein, Isabelle war sich jetzt sicher. Ihrer Mutter musste sie irgendwie klarmachen, dass sie nicht mitkommen könne. Sie würde das schon verstehen. Es war jetzt erst mal wichtiger, dass sie sich in ihrem inneren Kreis – Alexander, sie und die Kinder – kennenlernten.
Und während sie das als beschlossene Sache betrachtete, war ihr durchaus bewusst, dass sie ihre Mutter noch aus einem anderen Grund nicht hierhaben wollte.
Ihre Mutter würde nach fünf Minuten in diesem Haus folgenden Satz aussprechen:
„Kind, du hast hier nichts verloren.“
Und dann würde die Leier mit der überstürzten Hochzeit wieder losgehen. Und der Vorwurf, dass sie es in ihrem Leben noch nie richtig gemacht hatte, würde die ganze Zeit wie eine dicke Staubschicht über ihnen im Raum hängen.
Mit nur 25 Jahren hatte sie vor den Scherben ihrer Ehe gestanden ...
Sie war 19 , als sie Marc kennenlernte, und wie es der dumme Zufall wollte, wurde sie prompt von ihm schwanger. Weder Marc, noch sie, machten sich große Gedanken darüber, dass ein Kind ihre Beziehung verändern könnte. Sie versprachen sich feierlich, dass sich nichts ändern würde und dass sie keinesfalls zu Spießern mutieren wollten. Ganz in diesem Sinne feierten sie auch ihre Hochzeit. Es war ein rauschendes Fest mit an die 200 geladenen Gästen. Bis morgens um sechs wurde durchgetanzt und danach entspannten sie sich drei Wochen lang in einem Luxusresort auf Mauritius. Kurz nach Isabelles zwanzigstem Geburtstag erblickte Constantin das Licht der Welt. Er war ein ruhiges und liebes Baby. Isabelle verliebte sich auf den ersten Blick und wollte ihren kleinen Schatz gar nicht mehr aus den Augen lassen. Die Partys waren mit einem Mal uninteressant geworden. Und so zogen erste Wolken am Ehehimmel auf.
„Isabelle, ich bin noch nicht bereit, ein Leben mit Reihenhaus und Kombi zu führen. Ich bin jung und will mein Leben genießen.“ Marc hatte sich in seinen blonden Haarschopf gegriffen und sie mit seinen stahlblauen Augen ernst angesehen.
Er mochte seinen Sohn zwar sehr, aber er sah nicht ein, warum ein Kind ihn in seiner Lebensweise einschränken sollte.
Arbeiten musste er nur sporadisch, da sein Vater die Zügel der familieneigenen Firma noch fest in der Hand hielt. Finanziell sehr gut gestellt wie er war, konnten sie bedenkenlos ihr fröhliches Partyleben zwischen Saint Tropez und Sankt Moritz weiterführen. Sie suchten nach einem Kompromiss und fanden ihn in einer Nanny. Marc hatte jedoch eine Bedingung:
„Es muss ein junges und hübsches Mädchen sein. Ich habe nicht die geringste Lust, mit einer alten Schachtel unter einem Dach zu leben, die sich nach kurzer Zeit aufführt, als ob sie meine Mutter wäre.“
Und so kamen sie zu
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