Totgeschwiegen (Bellosguardo)
nur darin, dass sie diesen Gesichtsausdruck an ihm noch nie gesehen hatte? Obwohl doch, sie hatte ihn schon mal ähnlich entsetzt dreinblicken sehen. Damals bei ihrem ersten Zusammentreffen am Flughafen in Heathrow.
Hat er mich eben schon wieder mit Katharina verwechselt?
Ein ungutes Gefühl machte sich in ihr breit.
„Entschuldige bitte, ich wollte dich nicht erschrecken. Ich wollte dich nur fragen ... ob du etwas dagegen hättest, wenn ich ein paar Möbel im Wohnzimmer umstelle ...“ Isabelle faselte und stammelte vor sich hin.
„Was denn umstellen?“ Alexanders Reaktion war so schroff, dass sie jetzt zusammenzuckte.
Sofort entspannten sich seine Gesichtszüge und er fuhr in einer betont sanften Stimme fort:
„Was möchtest du denn umstellen?“
„Ähm, ich wollte nur das Wohnzimmer etwas wohnlicher machen ... Da stehen so viele Möbel drin ... Ich dachte, wenn wir ein paar Sachen raustellen, dann wäre es vielleicht ...“ Isabelle war mit einem Mal so verunsichert, dass sie Alexander gar nicht in die Augen sehen konnte. Sie fühlte sich wie ein Eindringling in einem fremden Haus, in dem sie nichts zu suchen hatte.
Alexander schien ihre Verunsicherung zu bemerken und war mit zwei Schritten bei ihr. Er nahm sie liebevoll in den Arm und drückte sie fest an sich.
„Schatz, ich wünsche mir, dass du dich hier wohlfühlst. Wir können alles so ändern und umstellen, wie du es möchtest. Ich habe eben blöd reagiert. Das wollte ich nicht. Ich war nur gerade mit meinen Gedanken ganz woanders.“
Isabelle sog die beruhigenden Worte auf wie einen Schwamm.
Es würde schon alles gut werden. Natürlich war es nicht nur für sie schwierig. Immerhin war das hier das Haus, in welchem Alexander mit Katharina und seinen Kindern die Ferien verbracht hatte. So viele Erinnerungen mussten in diesen Räumen stecken und wenn sie hier etwas ändern wollte, dann musste sie sehr behutsam und mit viel Feingefühl vorgehen.
„Schatz, ich will ja gar nichts groß verändern. Es ist nur so, dass im Wohnzimmer im Moment auch noch die Möbel aus deinem Münchner Haus stehen. Wenn wir hier alle Weihnachten feiern wollen, dann müssen wir etwas Platz schaffen.“
„Ja, natürlich. Das Haus muss dir vorkommen wie ein Möbellager, auch wenn ich die meisten Möbel aus dem Münchner Haus eingelagert habe. Von den Stücken, die hier stehen, konnte ich mich einfach nicht trennen. Aber natürlich hast du recht, wir müssen das Haus wieder wohnlich machen.“ Fahrig griff er sich durch sein dichtes dunkles Haar. „Ich will nur noch schnell nach dem Grab sehen, es wird ja gleich dunkel. Wenn ich zurück bin, helfe ich dir, OK?“ Er drückte ihr einen sanften Kuss auf die Lippen und wandte sich wieder dem Schreibtisch zu.
„Soll ich dich begleiten?“
„Nein. Ich muss da allein hin. Bitte versteh das. Du kannst ja in der Zwischenzeit schon mal überlegen, was du genau ändern möchtest.“
„Natürlich. Wie du meinst.“ Isabelle ging zur Tür. Aus dem Augenwinkel bemerkte sie, wie Alexander nach dem Briefbogen suchte, den er vor ein paar Minuten unter den Papierstapel geschoben hatte.
Langsam ging sie wieder ins Wohnzimmer zurück. Unschlüssig betrachtete sie das Chaos, das sich ihr bot. Ein graues stylisches Ledersofa stand neben einer alten Couch mit cremefarbenen , bereits etwas ausgeblichenen Stoffbezügen. Ein großer, alter, rustikaler Esstisch aus Holz, der hier wunderbar hinpasste, wurde von super modernen Designerstühlen umrahmt. In der Ecke stand eine Biedermeierkommode, auf der sich gleich zwei Lampen mit absolut unterschiedlichen Stilrichtungen drängten. Sie überlegte, welche Möbel hier wohl ursprünglich mal gestanden hatten. Insgesamt konnte sie mindestens drei Stilrichtungen erkennen. Je länger sie die Ansammlung an nicht zusammenpassenden Objekten betrachtete, desto hässlicher fand sie jedes einzelne Stück. Am liebsten hätte sie alles rausgeschmissen und von neuem mit dem Einrichten begonnen. Aber wie sollte sie das Alexander begreiflich machen?
„Bis gleich, Schatz“, hörte sie ihn aus der Richtung des Eingangsbereiches rufen. Dann vernahm sie das Zufallen der Haustür. Sie war allein in Katharinas und Alexanders Haus.
Nachdenklich trat sie an die großen, zur Terrasse führenden Glastüren. Von hier hatte sie tatsächlich einen großzügigen Blick über die toskanischen Hügel. In der bereits begonnenen Dämmerung dieses tristen Novembertages, hatten die Hügel eine gräuliche Farbe
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