Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Totsein verjaehrt nicht

Titel: Totsein verjaehrt nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
Vom Netzwerk:
»Unangenehmer Kerl. Um die zwanzig, fiese Ausstrahlung. Emanuel wartet oben auf dich.«
    Als Ohnmus gegangen war und Fischer sich zur Treppe wandte, zupfte Liz ihn am Ärmel.
    »Warum warst du bei der Mutter der kleinen Scarlett?«, sagte sie.
    Er drehte sich nicht zu ihr um, sondern streckte den Rücken, bleckte die Zähne und schloss für einen Moment die Augen. Dann ging er wortlos in den dritten Stock hinauf. Nachdem er im Vernehmungsraum 1 verschwunden war, folgte Liz ihm widerwillig.
     
    In dem Raum stand kein Tisch. So hatte der junge Mann keine Möglichkeit, sich festzuhalten oder aufzustützen. Breitbeinig saß er auf dem Stuhl vor der Wand, gegenüber demSpiegel, durch den Liz und Fischer ihn beobachteten. Mit dem Rücken zum Spiegel saß der neunundvierzigjährige, rothaarige Hauptkommissar Emanuel Feldkirch, mit übereinandergeschlagenen Beinen und einem DIN-A4-Block auf den Knien. Er belehrte den jungen Mann, dass dieser als Zeuge vernommen werde und die Pflicht habe auszusagen.
    Sein Name war Dennis Socka. Er war neunzehn und lebte bei seinen Eltern in der Dachstraße in Pasing. Nach der mittleren Reife hatte er eine Malerlehre begonnen, musste sie aber wegen einer Allergie abbrechen. Er bewarb sich bei einem Taxiunternehmen. Auch diese Ausbildung beendete er vorzeitig. Seither jobbte er in der Großmarkthalle, nachdem er erfolglos bei verschiedenen Betrieben angefragt hatte.
    Auf den ersten Blick wirkte er jünger als neunzehn. Sein Gesicht war grau und eckig, er hatte dunkle Ringe unter den kleinen Augen, die blonden Haare standen ihm vom Kopf. Er hatte einen schmalen, unscheinbaren Körper und trug blaue, weit geschnittene, ausgewaschene Jeans, einen dicken Wollpullover und einen gefütterten Anorak mit Kunstpelzkragen und Kapuze.
    Fast jedes Mal, bevor Dennis eine Antwort gab, schob er das Kinn vor und blähte die Nasenflügel, was auf dem Monitor gut zu erkennen war. Im Raum hingen drei Digitalkameras. Manchmal verzog Dennis das Gesicht zu einer Grimasse und rutschte auf dem Stuhl noch ein Stück tiefer. Er wippte mit den Beinen, behielt die Hände in den Taschen des Anoraks.
    »Ich wiederhole noch einmal, dass Sie als Zeuge bei uns sind und die Pflicht haben auszusagen«, erklärte Feldkirch. »Haben Sie das verstanden?«
    Mit heruntergezogenen Mundwinkeln nickte Dennis Socka.
    »Es ist 11.45 Uhr, Donnerstag, 14. Februar. Herr Socka,haben Sie in der Zeitung von den Raubüberfällen auf die Taxifahrer gelesen?«
    Dennis ließ sich Zeit, schniefte, bewegte den Kopf. »Ist schon möglich.«
    Seine Stimme war schlecht zu verstehen, Fischer vermutete, dass er absichtlich leise redete.
    Feldkirch nickte. Er vermittelte einen entspannten, freundlichen Eindruck und ließ Dennis nicht aus den Augen. »Ich möcht Sie nicht länger als nötig aufhalten, aber Sie wissen, dass wir seit Monaten in der Sache ermitteln und nicht vorankommen, jeder Hinweis kann uns helfen. Ein Taxifahrer ist gestorben, eine schwer verletzte Fahrerin liegt im Koma, und das, was sie uns noch mitteilen konnte, ist sehr vage. Wenn Sie also Beobachtungen gemacht, wenn Sie etwas gehört haben, das auf die Überfälle hindeutet, sagen Sie es mir bitte.«
    Für die Einstellungen der Kameras am Computer war der siebenundvierzigjährige Hauptkommissar Sigi Nick verantwortlich, ein dünner Mann mit flinken Bewegungen, der vielleicht aus Gründen der Haarwurzelerwärmung oder der Schuppentarnung unentwegt eine beige Schirmmütze trug. Er zoomte auf das Gesicht des Zeugen. Fischer und Liz sahen dessen nervöse Zuckungen und die poröse, pickelige Haut.
    Dennis Socka war der Neffe von Claus Socka, dem Taxifahrer, der erstochen worden war. Niemand im Kommissariat III glaubte an einen Zufall. Niemand hielt Dennis für unschuldig.
    Feldkirch hatte seine Strategie auf nichts mehr ausgerichtet als darauf, Dennis am Sprechen zu halten. Dabei spielte das Thema zunächst keine Rolle. Einen Verdächtigen reden und möglicherweise lügen zu lassen brachte einen Ermittler manchmal besser voran als ein Schweigen, das eine Form von Schuldeingeständnis sein mochte, aber keinerlei gerichtsverwertbareFakten und logischerweise kein Täterwissen offenbarte.
    Wie einen Schuss kann man auch ein gesprochenes Wort nicht zurücknehmen. Das gesprochene Wort eines Zeugen verwandelte sich schneller in die Aussage eines Tatverdächtigen, als dieser die Belehrung, er dürfe von nun an die Aussage verweigern und einen Anwalt hinzuziehen, verstanden hatte. Geriet die

Weitere Kostenlose Bücher