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Totsein verjaehrt nicht

Titel: Totsein verjaehrt nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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Zeuge, sondern als Verdächtiger vernommen werden. Sie haben das Recht, die Aussage zu verweigern, einen Anwalt hinzuzuziehen oder Beweiserhebungen zu beantragen. Haben Sie die Belehrung verstanden?«
    »Leck mich.«
    Nick packte Dennis an der Schulter und drückte ihn auf den Stuhl. »Sie bleiben hier sitzen. Möchten Sie jetzt eine Aussage machen?«
    Mit verkniffener Miene schaute Dennis zu Boden. Die Kommissare warteten. Eine Minute verging.
    Fischer und Liz waren aufgestanden und hatten das Geschehen mit einem Gefühl von unangenehmer Ratlosigkeit verfolgt. Liz, die im Präsidium angerufen und eine Streife herbestellt hatte, kratzte sich mit den Fingern am Daumen. Fischer wirkte äußerlich ruhig. Er hatte die Hände hinter dem Rücken verschränkt und stand aufrecht an der Glasscheibe. Dahinter saß einer der Täter, die seine Freundin halb totgeprügelt und einen Mann ermordet hatten. Es fiel ihmschwer, auszuharren und nicht hinübergehen und die Vernehmung fortsetzen zu können.
    »Ein erster Erfolg«, sagte Liz leise.
    »Er ist nicht der Täter«, sagte Fischer.
    Für eine Erwiderung war Liz nicht geistesgegenwärtig genug.
    »Er hat den Druck nicht mehr ausgehalten«, sagte Fischer. »Er ist ein Mitläufer, der andere hat ihn angestiftet. Ich will wissen, warum sie Ann-Kristin so zugerichtet haben.«
    »Er wirds dir später sagen.«
    »Ich will es jetzt wissen.« Er versuchte, Liz zur Seite zu drängen, aber sie wich nicht von der Stelle.
    »Das hat keinen Zweck, P-F. Der Typ mauert, er hat sich verplappert, er hat alles zerstört, was sein Kumpel ihm eingetrichtert hat. Der braucht erst mal eine Nacht in der Zelle, dann können wir hoffentlich wieder was mit ihm anfangen.«
    Außer Atem kamen vier Streifenpolizisten die Treppe herauf. Fischer begrüßte sie und verließ ohne weitere Erklärung den Vorraum.
    Am liebsten hätte Liz ihm hinterhergerufen, wie selbstgefällig sie sein Verhalten fand.
     
    Eine seiner Bedingungen vor seinem Wechsel in die Mordkommission war die Zusage für einen eigenen Vernehmungsraum gewesen. Nach dem Umzug der Abteilung in die Burgstraße durfte er das acht Quadratmeter große Zimmer gegenüber dem Sekretariat nutzen, dessen Fenster auf den Hinterhof ging und dessen Einrichtung aus nichts als einem viereckigen Holztisch mit zwei Stühlen und einem Bistrotisch für die Protokollantin bestand. In der Ecke hing ein Kruzifix, das Fischer abnahm, wenn ein Zeuge oder Verdächtiger darauf bestand, und an der Wand ein Haken für Fischers Mantel und Hut.
    In diesem Zimmer saß er jetzt und wartete, dass Valerie ihm die alten Protokolle brachte. Die Hände gefaltet auf dem Holztisch, schaute er die geschlossene Tür an. Den Mantel hatte er anbehalten, den Stetson aufgehängt. Manchmal, nach Stunden aufwühlender Vernehmungen – er nannte sie Gespräche –, las er für sich allein Verse in der Bibel oder zitierte einen Psalm aus dem Gedächtnis. Er hatte nichts dagegen, wenn die Tür offen stand und jemand zuhörte. Heute schwieg er, und er wollte nicht, dass jemand ihn so sah. Schweigen, sagte er oft, sei das Privileg von Mördern und Mönchen, in seiner täglichen Arbeit fand er es lästig und unnütz. Vielleicht hatte er in den neun Jahren in St. Bonifaz zu viel geschwiegen, vielleicht hatte er Schweigen seit jeher als Bürde empfunden, als etwas Zwanghaftes, Unnatürliches. Er schätzte die Stille, aber das Schweigen von Menschen quälte ihn, wie sein eigenes ihn neun Jahre lang gequält hatte.
    Obwohl er seit vierzehn Jahren bei der Mordkommission arbeitete, kam er sich manchmal wie ein Gyrovage vor, wie einer jener umherziehenden Mönche auf der Suche nach dem einen Ort ihrer Bestimmung.
    Als es an der Tür klopfte, erschrak er. Im ersten Moment dachte er, jemand werde ihm gleich etwas Fürchterliches aus dem Krankenhaus mitteilen.

6
»Er hat die Menschen nämlich gern«
    Vier Stunden später, gegen siebzehn Uhr an diesem Donnerstag, verließ Polonius Fischer den Raum im zweiten Stock.
    Hunderte von Seiten hatte er gelesen, Hunderte von Fotos betrachtet, Hunderte von Protokollen verglichen, ohne zu begreifen, warum es ihm und seinen Kollegen vor sechs Jahren nicht gelungen war, eindeutige Beweise zu beschaffen. Mehr als je zuvor kam ihm das Verschwinden der neunjährigen Scarlett Peters vor wie ein höhnischer Trick des Schicksals.
    Im Vernehmungsraum im dritten Stock, in dem diesmal ein länglicher Tisch stand, ging eine junge Frau auf und ab, mit verdrucksten Bewegungen und

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