Totsein verjaehrt nicht
dein Wissen.«
»Das würde sie nicht tun, weil ich sie darum gebeten habe. Ich wollte vorsichtig sein, ich wollte den Taten von Verrückten vorbauen, ich hab ihr gesagt …«
Er schaute zur Theke, wo jetzt Besucher in Straßenkleidung und Patienten in Morgenmänteln Schlange standen. Für einige Sekunden hielt er die Hand vor die Augen und hob die Schultern. »Nein. Das sind keine Verrückten, das sind gewöhnliche Täter. Sie sind jung, sie brauchen das Geld, eventuell für Drogen, sie unterscheiden sich von ihren Altersgenossen nur durch ihre Gewaltbereitschaft. Ich schließe nicht aus, dass es sich um Jugendliche handelt. Wenn wir wenigstens einen halbwegs brauchbaren Zeugen hätten, eine Stimmenaufzeichnung aus dem Taxi, ein irgendwie verwertbares Foto. Den Tätern ist es gelungen, alle Sicherheitsschranken zu unterlaufen. Als wären sie vorübergehend unsichtbar gewesen.«
»Kein Täter ist unsichtbar.« Mit einem schnellen Blick sah Liz auf ihre Uhr.
»Wir müssen los«, sagte Fischer.
»Du hast mich noch nicht gefragt, warum ich hier bin.«
»Warum bist du hier?«
»Weil du dein Handy ausgeschaltet hast.«
Das hatte er vor dem grünen Haus in der Winterstraße getan, vor langer Zeit, wie ihm schien.
»Wir haben einen Verdächtigen«, sagte Liz. »Emanuel wollte nicht mit der Vernehmung beginnen, bevor du da bist. Zu Hause hab ich dich nicht erreicht. Dann hab ich im Krankenhaus angerufen. Was wolltest du von Michaela Peters?«
Fischer stand auf. Er war einen Meter zweiundneunzig groß und dreiundneunzig Kilogramm schwer, und die Gäste in der Caféteria drehten sich nach ihm um. Durch den weit geschnittenen Mantel wirkten seine Schultern noch breiter, und der Stetson, den er auf den Stuhl neben sich gelegt hatteund jetzt aufsetzte, ließ ihn noch größer erscheinen. Liz betrachtete ihn, wie schon oft. Sein verzurrter Gesichtsausdruck erschreckte sie.
»Beeilen wir uns«, sagte er.
»Warum hast du mit Michaela Peters gesprochen, P-F?«
Er ging an ihr vorbei zur Tür.
5
»Die Täter sind clever, das passiert«
Einer nach dem anderen gab ihm die Hand.
Augenblicklich hatte Polonius Fischer die Vorstellung eines Kondolenzbesuchs, und er nahm seinen Hut ab und hielt ihn in der linken Hand hinter dem Rücken. Gewöhnlich begrüßten sie sich nicht mit Handschlag. Anscheinend hatten sie alle auf ihn gewartet: Neidhard Moll, Esther Barbarov, Gesa Mehling, Micha Schell, Georg Ohnmus, Walter Gabler, Emanuel Feldkirch, Sigi Nick, der Leiter der Mordkommission, Erster Kriminalhauptkommissar Silvester Weningstedt und Valerie Roland, die Assistentin und Protokollantin. Staunend verfolgte Liz Sinkel, der niemand die Hand gab, die eigentümliche Zeremonie.
Seit einem überraschenden Besuch des Polizeipräsidenten kursierte im Präsidium für die Gruppe der Spitzname »Die zwölf Apostel«, was Fischer, den ehemaligen Mönch, im Stillen amüsierte, da er bei den Mahlzeiten in großer Runde gewöhnlich aus einem Buch vorlas, während die anderen schweigend aßen. Ein Ritual, das er aus seiner Zeit bei den Benediktinern übernommen hatte.
Ursprünglich befanden sich die Räume des Kommissariats III wie die übrigen Abteilungen im Hauptgebäude der Münchner Polizei an der Ettstraße. Nach einem Brand, ausgelöst durch einen in einer Plastiktüte eingewickelten, heiß gelaufenen Laptop, mussten die Mordermittler ausziehen. In Absprache mit dem Innenministerium mietete Polizeipräsident Dr. Linhard als Übergangslösung im ehemaligen herzoglichen Falkenhaus an der Burgstraße die leer stehendenStockwerke an. Es stellte sich heraus, dass die Arbeitsbedingungen ideal waren und die Kommissare sich in dem Gebäude aus dem sechzehnten Jahrhundert vom ersten Tag an wohlfühlten. So kam die Mordkommission zu einer eigenen Unterkunft mitten in der Altstadt, in einer abschüssigen Gewölbegasse, an der ältesten Stadtmauer Münchens. In unmittelbarer Nachbarschaft lagen das einstige Hofzerwirkgewölbe, wo das auf den Hofjagden geschossene Wild verarbeitet worden war, und ein Haus, in dem Mozart einen Teil seiner Oper »Idomeneo« komponiert hatte.
Deshalb geriet die Mordkommission, zumindest von außen, regelmäßig in den Fokus der Fotoapparate und Videokameras Hunderttausender Touristen, die auf dem Weg zum Hofbräuhaus an dieser historischen Ecke der bayerischen Landeshauptstadt vorüberpilgerten.
»Esther und ich haben einen Typen ausfindig gemacht«, sagte der fünfundvierzigjährige Hauptkommissar Ohnmus.
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