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Totsein verjaehrt nicht

Titel: Totsein verjaehrt nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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der Soko-Leiter und habe nicht verhindernkönnen, dass ein geistig behinderter Mann wegen Mordes verurteilt wird, aufgrund eines Geständnisses, das unter sehr beunruhigenden Umständen zustande kam. Und aufgrund von Zeugenaussagen, denen ich bis heute nicht traue. Du hast sie gelesen. Wo ist die Leiche des Mädchens?«
    »Der Fall ist abgeschlossen«, sagte Liz. »Du hast keine Handhabe, ihn wieder aufzurollen. Kümmer dich um Ann-Kristin. Lass die Vergangenheit. Und schlaf, P-F, schlaf endlich wieder.«
    »Ja«, sagte er und empfand eine überschäumende Zuversicht bei dem Gedanken, dass er und Marcel Thalheim morgen Unglaubliches zu sehen bekämen.

ZWEITER TEIL

10
»Mein Fels, meine Hilfe, meine Burg«
    Angeschlossen an Apparate, deren Bezeichnungen er nicht wissen wollte, lag sie allein im Zimmer.
    Die weißen Vorhänge waren zugezogen. Es roch nach Medikamenten und einer Mischung aus Essen und Desinfektionsmitteln. Ann-Kristin schlief, bis zum Kinn mit einem weißen Laken zugedeckt, das sich kaum hob und senkte. Sie wurde durch einen Schlauch beatmet, ihr Kopf war vollständig bandagiert, außer über den Augen, der Nase und dem Mund. Das linke Auge sah aus wie aufgequollen.
    Auf dem viereckigen Tisch mit der weißblauen Decke stand eine Vase mit gelben Tulpen, davor zwei Stühle. Sonst nichts. Keine Zeitschriften, kein Teller mit Obst oder Schokolade, keine Wasser- und Saftflaschen. Der Raum gehörte den Maschinen, sie bestimmten den Tagesverlauf, den Lebensverlauf. Polonius Fischer kniete neben dem Bett, die Hände im Schoß gefaltet, und redete weiter. Seine Stimme war leise, verzagt, sie kam ihm selber fremd vor, wie geliehen. Aber er konnte nicht aufhören zu sprechen.
    »Ich war am falschen Ort. Ich hatte mir nur eingebildet, am richtigen zu sein. So etwas klappt, wenn man fest genug dran glaubt. Und mein Glaube war felsenfest, das kannst du mir glauben, ich war felsenfest von meinem Glauben überzeugt. Bis ich eines Nachts begriff, dass da niemand war, der meinen Glauben teilte.«
    Vielleicht erkennt sie meine Stimme im Schlaf wieder, dachte er.
    »Eines Nachts in meiner Zelle habe ich angefangen michzu fragen, ob ich an Gott glaube. Ich, Frater Tabor. Benediktinermönch mit ewiger Profess. Nach neun Jahren in St. Bonifaz. Ora et labora et lege. Geh in deine Zelle, und sie wird dich das Beten lehren. Hat sie getan. Ich legte das Gelübde ab, trug meinen Habit und erfüllte die Regeln. Erfüllt von Sehnsucht und Ahnung, so bin ich ins Kloster eingetreten. Und die ersten Jahre verbrachte ich in stillem Genuss. Ich betete, ich arbeitete, ich las, abends ging ich oft durch die Stadt, gönnte mir ein Bier, sprach mit Leuten. Ich war, so bildete ich mir ein, anwesend in der Welt.«
    Er sah sie an, dann seine Hände, die zitterten.
    »Aber ich war nicht anwesend in mir. Und niemand, der nicht in sich selbst anwesend ist, ist anwesend in der Welt. Ich stellte mich bloß dar. Kannst du dir den Schrecken vorstellen, der einen Menschen heimsucht, wenn er eines Nachts sein wahres Empfinden und Denken begreift? Dieses Ausmaß von Gottesferne ist ungeheuerlich. Das ist, als hätte dich jemand im Weltall ausgesetzt und dein Atem bestünde aus Nägeln, und jeder Atemzug reißt noch tiefere Wunden in deine Einsamkeit. Das Schweigen Gottes, also das Schweigen der Liebe brachte mich fast um. Ich hörte auf zu essen, zu trinken, ich hörte auf zu beten, ich verließ meine Zelle nicht mehr.«
    Jedes Mal, wenn er beim Sprechen innehielt, erschrak er über das Sirren der Geräte. Dann redete er schnell weiter, wie es ihm überhaupt nicht entsprach.
    »Und dann begann ich, meinen Kopf gegen die Wände zu schlagen. Ich zertrümmerte Geschirr, ich schrie. Ich verfluchte Gott und die Welt und mich selbst. Mich ekelte mein Leben an. Ich verabscheute mich für meine Entscheidungen, für meinen Glauben, für meine Lügen. Ich wollte raus. Ich wollte durch die Straßen laufen und allen Leuten ins Gesicht schreien, dass Gott kein Erbarmen kennt und dass wir uns alle belügen und dass das Leben eines Menschen so bedeutungslosist wie das einer Kaulquappe und dass wir nie hätten geboren werden dürfen, denn so lernen wir, uns wichtig zu nehmen und einen Gott anzuhimmeln, den es nicht gibt.«
    Nein, dachte er, das ist nicht wahr, das Leben eines Menschen ist nicht bedeutungslos. Ich will nur sagen …
    Er schaute zur Tür, vor der Stimmen zu hören waren. Das war normal. Stimmen waren normal.
    »Ich verließ den Konvent. Und weißt du,

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