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Totsein verjaehrt nicht

Titel: Totsein verjaehrt nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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anderes. Jemand aus dem engen familiären Umfeld. Jockel Krumbholz wurde unter Druck gesetzt, sein Geständnis kam zustande, weil der vernehmende Kollege den jungen Mann stundenlang ins Kreuzverhör genommen und ohne Pause in eine bestimmte Richtung gedrängt hat, in die der geistig behinderte Verdächtige sich schließlich gefügt hat. Jockel Krumbholz hat aus einem einzigen Grund gestanden: Er wollte seine Ruhe, er wollte, dass Schluss ist, er war am Ende seiner körperlichen und seelischen Kräfte. Der Kollege hat ihn zermürbt.«
    »Sie dürfen seinen Namen nennen«, sagte Linhard. »Ihr Kollege heißt Micha Schell. Er kannte den jungen Mann seit seiner Mitarbeit bei Ihnen in der Soko1. Schell hielt ihn schon damals für hochgradig verdächtig, bekam aber nicht die Möglichkeit, sich ausführlich mit seiner Person, seinen Motiven, seinem Umfeld zu beschäftigen.«
    »Weil ich Jockel Krumbholz nicht für schuldig hielt.«
    »Und das war ein Fehler, deswegen wurden Sie ausgetauscht, das war die einzig richtige Entscheidung.«
    »Auf Weisung des Innenministers«, sagte Fischer.
    »Wir trafen uns regelmäßig«, sagte Linhard. »Er kannte den Fall aus den Medien und hat mir Fragen dazu gestellt. Er war, genau wie ich, unzufrieden mit dem Fortgang der Ermittlungen. Sie brachten keine neuen Ergebnisse, im Grunde brachten sie überhaupt keine Ergebnisse. Bei allem Respekt für Sie und die beteiligten Kollegen aus München und den anderen Bundesländern, die zeitweise in Ihrer Sonderkommission mitgearbeitet haben – das, was Sie ermittelten, steigerte nur den Eindruck in der Öffentlichkeit, die Polizei habe in diesem Fall nicht sorgfältig recherchiert, habe zu spät begonnen, die richtigen Spuren zu verfolgen und so weiter. Die Zeitungen berichteten jeden Tag über den Fall ScarlettPeters, wir standen in der Kritik, nicht zu Unrecht, wie ich immer noch finde. Es musste etwas geschehen, der Innenminister hat damals nur ausgesprochen, was wir intern diskutiert haben. Und die Entscheidung gab ihm und uns recht. Es dauerte, wie Sie sich erinnern, keine Woche, bis Herr Krumbholz junior überführt war und ein umfassendes, glaubhaftes Geständnis abgelegt hatte.«
    »Das Geständnis war nicht glaubhaft«, sagte Fischer. »Und er hat es zwei Tage später zurückgenommen.«
    »Auf Druck der Mutter. Natürlich wurde ihm plötzlich bewusst, wie sehr er seinen Vater mit der Aussage belastet hatte. Daran hatte er nicht gedacht, er hat ganz einfach die Wahrheit erzählt. Sie kennen doch die Akten, Krumbholz junior hat sich die Tat von der Seele geredet, und dann kam seine Mutter und machte ihm klar, welche Konsequenzen sein Geständnis für die ganze Familie hat. Er bekam es mit der Angst.
    Haben Sie das Gutachten gelesen? Nein, Sie waren ja zu dem Zeitpunkt nicht mehr dabei. Ich habe es gelesen. Und dieses Gutachten belegt eindeutig und objektiv und aus psychologischer Sicht absolut nachvollziehbar, dass Jockel Krumbholz das kleine Mädchen beobachtet, angesprochen, immer wieder um Verzeihung für seine sexuellen Übergriffe gebeten, sie in sein Zimmer gelockt, dort zu Boden geworfen und erstickt hat. Anschließend beichtete er seinem Vater, was er getan hatte, und der Vater kümmerte sich um die Beseitigung der Leiche. Hier ist das Gutachten.«
    Er schlug die Akte auf, nahm ein etwa zwanzig Seiten dickes, mit einem Schnellhefter zusammengebundenes Dossier heraus und klappte die Akte wieder zu.
    »Das ist nur die Kurzversion. Ich hab sie mitgebracht, weil ich möchte, dass Sie begreifen, warum ich so außer mir war, als ich von Ihren Eskapaden erfuhr und heut früh auchnoch von den Ereignissen auf dem Friedhof. Sie sind – oder waren es zumindest – so etwas wie eine Koryphäe, die Kollegen orientieren sich bei ihren Ermittlungen an Ihren Methoden und Vernehmungen. Und weil ich zu denjenigen gehöre, die Ihre Arbeit immer noch hoch schätzen, liegt mir so viel daran, Sie von Ihren Irrtümern abzubringen. Deswegen möcht ich Ihnen kurz aus dem Gutachten von Professor Dr. Weißmann zitieren, der als einer der renommiertesten Psychiater und Psychologen Deutschlands gilt und regelmäßig für unterschiedliche Gerichtsverfahren um seine Beurteilung gebeten wird, wie Sie sicher wissen. Ich sehe, Sie hören mir zu.«
    Fischer hatte die Arme auf die Sessellehnen gelegt und sog den Geruch nach Vanille ein.
    Linhard begann zu blättern. Es war eine Kopie, jemand hatte einzelne Zeilen unterstrichen, Wörter eingekreist und Notizen an den

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