Toxic: Der Biss - Das Feuer - Die Hölle Thriller (German Edition)
Morgen des 1.April, einem Samstag, war es kalt in La Jolla, Kalifornien. Hätte jemand Mary Aboubacar gefragt, ein Zimmermädchen, das erst kürzlich aus Kenia eingewandert war, so hätte sie sogar ohne Zögern gesagt, es sei eiskalt.
Mary bibberte, sah den aufgewühlten Ozean tief unter ihr und kehrte dem Wind den Rücken. Die hoch gewachsene Frau war Ende zwanzig und hatte eine Haut wie die Farbe von cremigem Mokka. Sie schlug den Kragen ihrer Jacke hoch und griff nach dem Eimer mit dem Putzzeug. Dann setzte sie ihren Weg durch das üppig bewachsene Areal eines Apartmentkomplexes fort, der den einfallslosen, aber treffenden Namen »Sea View Villas« trug. In der Anlage wohnten die Forscher und Laboranten, die mit Zeitverträgen in der boomenden Biotechnologie-Industrie von San Diego arbeiteten und sich hier monatsweise für 2000 Dollar einmieteten. Für Wäsche und Putzfrau waren 400 Dollar extra fällig.
Marys Chef hatte sie um sechs Uhr morgens angerufen und sie gebeten einzuspringen, weil sich die Samstagsputzfrau krankgemeldet hatte. Für Mary war es schon die zweite Extraschicht, und sie hatte noch sieben Objekte vor sich.
Sie stemmte sich gegen den Wind. Der betonierte Weg bog zu Gebäude Nummer fünf ab, einem dreistöckigen Bau, der sie an eine Botschaft in Nairobi erinnerte. Weiß verputzte Wände, verzierte Holztüren und ein Dach in der Farbe des roten Lehms, wie es ihn in dem Hochland gab, wo sie aufgewachsen war.
Mary setzte den Eimer an der Treppe ab und machte einem Mann Platz, der die letzten Treppenstufen herunterhastete. Die Einwohner von Sea View sahen alle irgendwie gleich aus: Jung, reich und immer in Eile, und sie wohnten hier nur so kurz, dass Mary ihre anfängliche Gewohnheit aufgegeben hatte, sie zu grüßen. Dennoch registrierte sie, dass es ein Weißer war und sie ihn noch nie zuvor gesehen hatte. Und er kam ihr aufgeregt vor. Mit einem burgunderroten Lederkoffer verschwand er Richtung Parkplatz.
Mary rieb sich den Rücken, nahm ihren Eimer wieder auf und ging in den zweiten Stock hinauf zu ihrem ersten Objekt. Sie klingelte, wartete eine Weile, klingelte noch einmal. Als ihr niemand antwortete, drückte sie die Klinke herunter und öffnete die Tür einen Spaltbreit. »Der Reinigungsservice«, rief sie mit ihrer singenden Stimme. »Niemand zu Hause?«
Mary stieß die Tür ganz auf. Mit zögernden Schritten trat sie ein, knipste das Licht an und erfasste den großen Wohnraum mit einem Blick. Das war eine Luxuswohnung mit freier Aussicht und Möbeln in Sonderausstattung. Gläserne Schwebetüren führten auf einen Balkon mit Meerblick. Die Vorhänge mit dem Fischgrätenmuster waren zugezogen. Cremeweißer Teppich. Couchtisch mit Glasplatte, Ledersofa und Zweiercouch vor Fernseher und Stereoanlage. Die Küchenzeile hinter einem Tresen komplett in Edelstahl.
Die Wohnung sah aus, als sei sie gerade sauber gemacht worden. Nirgends eine Zeitung. Kein Geschirr im Abwaschbecken. Der Teppich frisch gesaugt. Es roch nach Putzmittel.
Mary zog einen Zettel aus der Tasche und verglich ihre hingekritzelten Notizen mit der Nummer an der Außentür – Haus fünf, Wohnung neun . Sie zuckte die Schultern und freute sich über ihr Glück. Dieses Objekt konnte sie als erledigt eintragen, ohne einen Finger krumm gemacht zu haben.
Sie war schon drauf und dran, zu ihrem kleinen Pausenversteck draußen an der Klippe zu gehen, um dort in Ruhe eine Zigarette zu rauchen, als sie zur Sicherheit doch noch einen Blick auf den Rest der Wohnung werfen wollte. Sie ging durch den Flur, wo eine gerahmte Fotografie der Coronado vorgelagerten Inseln bei Sonnenuntergang hing. Als sie auf dem Teppich vor der verschlossenen Tür des Schlafzimmers rotes Kerzenwachs sah, runzelte sie die Stirn. Ein übler Geruch stieg ihr in die Nase, und sie hielt einen Moment inne. Offenbar war der jetzige Mieter – sie kannte nicht einmal seinen Namen – auf der Toilette gewesen, als sie an der Tür geklingelt und gerufen hatte.
Sie klopfte. »Hallo?« Da sie nichts hörte, drückte sie die Klinke herunter und öffnete die Tür. Ein heftiger Windstoß schlug ihr durchs offene Fenster entgegen. Mary warf einen Blick in das Schlafzimmer und sprang entsetzt zurück.
»Ebola!«, schrie sie und rannte über den Flur zur Haustür. »Ebola!«
2
Etwa fünfundzwanzig Kilometer entfernt, auf einem Baseballplatz in North Park, in einem bedeutend schmuckloseren Teil von San Diego, erlebte Jimmy Moynihan zu dieser Stunde sein erstes
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