Toxic: Der Biss - Das Feuer - Die Hölle Thriller (German Edition)
Golgatha.
Das erste Inning war gerade vorbei, und Jimmy lag drei zu null hinter dem besten Hitter der League zurück, einem Brocken namens Rafael Quintana, gerade einmal zwölf Jahre alt, dessen Schultern vermuten ließen, dass ihn sein alter Herr mit testosteronfördernder Kraftnahrung voll stopfte.
»Los, Jimbo, zeig’s ihm«, rief ich ihm vom Zaun am rechten Spielfeldrand zu. »Ich will ›Strike‹ hören.«
Jimmy sah durch seine Brille an mir vorbei. In Gedanken ganz woanders, spielte er hinter seinem Rücken mit dem Ball. Er war unsicher. Schlecht für einen Pitcher. Ganz ähnlich wie ich im Alter von zehn war er ein langer, schmaler Kerl mit Sommersprossen, dichtem schwarzem Haar und einer mächtigen Zahnspange im Mund. Und genau wie ich war er mit einem überraschend starken Arm und flüssigen Bewegungen gesegnet. Aber ich habe in vielen Jahren gelernt, dass es Tage gibt, an denen man in Form ist, und solche, an denen einem nichts gelingt, und an diesem feuchtkalten Morgen sah es so aus, als würde mein einziger Sprössling rein gar nichts zustande bringen.
Er holte zum Wurf aus. Ich schickte ein stummes Gebet zum Gott der Little League. Jimmy servierte den Ball wie auf dem Silberteller, eine Idealvorlage, hüfthoch. Rafael pulverisierte ihn. Das ergab drei Runs. Und ich fühlte mich wie der Typ, dem Paul Newman in Butch Cassidy und Sundance Kid in die Eier tritt.
Ich war auf einen Tränenausbruch von Jimmy gefasst, wie er normal ist bei einem Kind, das was auf den Deckel bekommt. Aber in seinen Augen blitzte nur Zorn auf, und er trat gegen das Mal.
»Was sagst du dazu?«, fragte Don Stetson, mein Assistenztrainer, ein zäher Kerl, der mich vergötterte, weil ich vor Urzeiten, vor vielen, vielen Monden, einmal in den Major Leagues Pitcher gewesen war. Allerdings nur neunzehn Spiele lang.
»Dass wir Rafaels Geburtsurkunde überprüfen sollten, vielleicht ist er alt genug, mit uns nach dem Spiel ein paar Coronas zu kippen. Ein, zwei Bluttests wären vielleicht auch angesagt.«
»Unsinn, Shay«, meinte Don. »Die machen uns gerade platt.«
»Das sehe ich auch. Mist, wie ich das hasse«, erwiderte ich, trat aufs Spielfeld und rief: »Time!«
Ich lief über das Feld zu Jimmy, der immer noch mit dem Fuß das Mal bearbeitete. Er würdigte mich keines Blickes.
»Das ist in die Hose gegangen«, sagte ich und nickte zum Zaun am linken Spielfeldrand.
»Mir geht’s prima, alles bestens«, antwortete Jimmy. »Lass mich weitermachen.«
»Früher oder später kriegt jeder mal eins aufs Dach.«
»Du nicht.«
»Es gibt noch vieles, was du über deinen Alten lernen musst.«
»Das sagt Mom auch immer.«
»Kluge Frau, deine Mom.«
»Sie meint das nicht nett.«
»Sieh mal an«, antwortete ich. »Jetzt schick Lawton rein und übernimm seinen Posten im Rightfield. Und mach mir Ehre da draußen. Aufgegeben wird nicht, klar?«
Er blickte zu mir auf und antwortete sarkastisch: »Aufgegeben wird nicht. Schön, Dad, ich werd’s mir merken.« Er drückte mir den Ball in die Hand, drehte sich um und rannte nach links. Ich sah ihm nach, schüttelte den Kopf und ging zur Trainerbank zurück. Jungs haben es wirklich nicht leicht: Gerade mal zehn Jahre sind sie auf dieser Erde, da müssen sie schon lernen, dass das Leben eine harte Sache ist.
Von den Stehplätzen aus sah uns meine Exfrau Fay zu. Selbst in ausgefransten Shorts und einem alten Sweatshirt sah sie noch umwerfend aus. Rotblondes, sonnendurchflutetes Haar fiel ihr wild über die Schultern, umrahmte sommersprossige Wangen, eine Adlernase und Lippen, die sich halb spöttisch, halb bestürzt kräuselten, als ob sie alleine die grausame Ironie des Lebens zu würdigen wüsste. Aber es waren ihre Opalaugen, die mich packten – die mich schon immer gepackt hatten –, diese rauchigen Augen, mit denen sie mich mühelos durchschauen konnte. Was ungefähr die Hälfte unseres Problems ausmachte.
Sie schaute mich an, und ich zuckte mit den Schultern. Sie lächelte mir nicht zu, sondern hob nur die Augenbrauen und wandte sich ihrem neuesten Kerl zu. Der hieß Walter Patterson, stand auf Gartenarbeit und selbst gebackenes Brot, trommelte, ging zu Lyriklesungen und war für lange Strandspaziergänge zu haben – die übrige Zeit rackerte er sich als Chefarzt in der Notaufnahme des Universitätsklinikums von San Diego ab, dem größten Krankenhaus im County.
Walter hatte regelmäßige Arbeitszeiten, versäumte nie eine Verabredung, brach nie ein Versprechen, lief nicht
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