Tränen aus Gold
Verständigung mit Maxim, dann würde dieser als Sündenbock für jedwede Untat herhalten müssen. So oder so, Maxims Leben war in Gefahr. Da Maxim selbst dieser Gefahr gegenüber blind zu sein schien, wie sollte er sich da als Freund verhalten?
Die dunkelglasierten Backsteintürmchen des Rathauses reckten sich dem Morgenhimmel entgegen, als Nikolaus die Rundportale durchschritt. Rasch lief er die Treppe hinauf, die ihn zu den Räumen führte, in denen Hillert sich gelegentlich aufhielt. Er übergab Kopfbedeckung und Umhang einem mittelgroßen Mann mit Namen Gustav, der in der Hanse als rechte Hand Hillerts galt, was immer dies bedeuten mochte. Dann betrat Nikolaus den Raum, in dem Hillert ihn erwartete.
»Guten Morgen, Kapitän«, hieß Hillert seinen Besucher leutselig willkommen und ging ihm entgegen. Der große und beleibte Mann bewegte sich mit dem wiegenden Gang des Seemanns. Sein glattes, strähniges Haar war eine Spur heller als das braune Leder seiner Stiefel. Graue Augen blickten unter dichten, buschigen Brauen hervor, die Tränensäcke entstellten ihn ebenso wie sein schlaffes Doppelkinn, das bei jeder Bewegung schwabbelte. Nikolaus hatte einmal mit eigenen Augen gesehen, wie er mit zwei Seeleuten verfuhr, die sich seiner Autorität widersetzten. Hillert hatte jeden Kopf mit einer Hand gepackt und ihre Schädel gegeneinander geschlagen.
»Guten Morgen, Herr Hillert«, erwiderte Nikolaus den Gruß.
Ein Lächeln enthüllte Hillerts verfärbte und schiefe, weit auseinander stehende Zähne. »Gut, daß Ihr so zeitig kommt.«
»Eure Aufforderung erschien mir dringlich.«
»Ja, es gibt eine Sache, die ich mit Euch besprechen möchte.« Hillert watschelte zum Kamin und hob einen dampfenden Kessel. »Tee, Kapitän?«
»Ja, gern.« Mit einem dankbaren Nicken nahm der Kapitän die Erfrischung an, schlürfte das mit Gewürzen versetzte Getränk und fand den Schuß Met sehr nach seinem Geschmack.
Hillert ließ sich wieder auf seinem Stuhl nieder und faltete die Hände über seinem Bauch, während er den Kapitän einer gründlichen Musterung unterzog. Er kannte Nikolaus schon geraume Zeit. Obwohl er keinen Grund hatte, ihm zu misstrauen, ließ die höchst unbefangene Haltung des jüngeren Mannes vermuten, daß er zu jenen wenigen gehörte, die sich von Hillerts Ruf nicht beeindrucken ließen. »Was wisst Ihr vom Marquis von Bradbury?«
»Im Moment gibt es niemanden dieses Namens.« Nikolaus nahm einen Schluck Tee und behielt ihn einen Moment im Mund, um ihn voll auszukosten. »Der Titel wurde seinem Träger genommen. Bislang gibt es niemanden, der seine Stelle einnimmt. Die britische Krone ist bekannt für ihr Zögern in diesen Dingen.«
»Nikolaus, Ihr spielt mit Worten, denn Ihr wisst, daß ich von Maxim Seymour spreche. Ich habe gehört, daß er Euer Freund ist.«
»Ach, der.« Nikolaus füllte den Krug nach. »Ja, er ist seit Jahren mein Freund. Ich war zu Besuch auf seinen Ländereien, und er fuhr mehrfach auf meinem Schiff. Wir haben manchen Krug miteinander geleert.«
»Wart nicht Ihr es, der ihn nach Deutschland brachte?«
»Ja, er entkam auf meinem Schiff. Man könnte sagen, er entzog sich dem Gewahrsam des Scharfrichters Ihrer Majestät.«
»Ich hörte, daß man ihn des Hochverrats anklagte«, fuhr Hillert unbeirrt fort.
»Ja.« Nikolaus blies in den Tee, um ihn abzukühlen. »Er wurde der Verschwörung zugunsten der schottischen Maria angeklagt sowie des Totschlags an einem Spitzel der Königin.«
»Es heißt, er sei einer Eskorte königlicher Wachen entwischt, die ihn zum Tower bringen sollte.« Hillerts Ton verriet, daß er dies unglaubwürdig fand.
»Ja«, erwiderte Nikolaus mit einem Lächeln.
»Er muß demnach sehr kampferprobt sein.«
Der Kapitän nickte bedächtig. »Das ist er. Er ist jedoch keiner, der sich wegen Nichtigkeiten duelliert. Sein Wissen und seine Fertigkeit erwarb er im Krieg, und seine Klinge beendet einen Kampf auf schnellstmögliche Weise. Er war sogar Kapitän eines eigenen Schiffes.« Nikolaus trank einen Schluck, ehe er fortfuhr: »Wäre er der See mehr verbunden, er würde sich mit Drake höchstpersönlich messen können.«
»Ach was, ein Geck reinsten Wassers!« schnaubte Hillert verächtlich. Sein Kinn wackelte, die grauen Augen richteten sich nachdenklich in die Ferne, während er das Gesagte bedachte. Was er da gehört hatte, war nur eine Bestätigung dessen, was er bereits wußte. Seine nächste Frage stieß zum Kern der Sache vor: »Und welche Bindung
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