Tränen der Lilie - Die Kristallinsel (Dreamtime-Saga) (German Edition)
Verletzungen vom Kampf aufweisen. Aber laut Ben gibt es nur
eine Blutgruppe im Zimmer und die gehört eindeutig dem Opfer. Somchai.«
»Nicht unbedingt«, mischte sich
Jai in die Unterhaltung ein. Sieben Augenpaare sahen ihn erstaunt an, als er
einen glänzenden Gegenstand aus dem Schaft seines Stiefels zog.
»Das hier ist ein Kris. Ein
kleiner Dolch, der in der asiatischen Welt weit verbreitet ist. Das
Heimtückische sind seine übereinandergelegten, gezackten Klingen. Wer den Dolch
beherrscht, schafft es mit einem einzigen, geübten Stich, die Wirbelsäule so zu
verletzten, das das Opfer danach sofort bewegungsunfähig ist. Das kann auch von
einer Frau ohne große Kraftanstrengung ausgeführt werden.«
»Merde! Damit«, antwortete
Sébastien, »haben wir dann vier Tatverdächtige. Die Ehefrau und die drei Väter
der angeblich entehrten Mädchen.«
»Fünf, wenn man die Nixe und den
Fluch mitrechnet«, ergänzte Jai und erntete damit einen sarkastischen Blick von
Sébastien.
Milton brachte mit einer einzigen
Handbewegung Ruhe in ihre Gruppe. »Jai hat recht. Wir dürfen nichts
ausschließen, nur weil es uns unbekannt ist. Darum werden wir morgen früh Malees
Rat befolgen und die weiße Hexe besuchen, die uns mehr über den Wassergeist
erzählen kann.«
»Was …?« Sébastien zuckte bei dem
Wort Hexe empfindlich zusammen. In seinem früheren Leben hatte die Begegnung mit
einer Hexe sein Glück zerstört und ihm stand keinesfalls der Sinn nach einem
Déjà-vu-Erlebnis. Wie von einer Tarantel gestochen drehte er sich um und
fixierte Michael aus zornigen Augen.
»Hast du vielleicht vergessen,
mich über diese kleine Tatsache zu informieren? Scheiße, wenn ich gewusst hätte,
dass eine Hexe mit im Spiel ist, dann wäre ich nie im Leben auf diese verfluchte
Insel gekommen.« Wütend stampfte er mit dem Fuß auf und unterdrückte den Drang,
Michael eine reinzuhauen.
»Da musst du jetzt durch, mein
Freund. Wir werden ihr morgen einen Besuch abstatten und du wirst uns
begleiten.«
Ihre Blicke duellierten sich und
Michael zuckte entschuldigend mit den Schultern. Jeder von ihnen kämpfte auf die
eine oder andere Weise gegen seine Vergangenheit. Und jetzt war es Zeit, dass
Sébastien sich seinen Dämonen stellte.
Machtspiele
S cheinbar fasziniert
betrachtete Sébastien aus dem Auto heraus die grünen Täler, die sich zwischen
den Bergen und Kurven erstreckten. Seine Arme vor der Brust verschränkt,
ignorierte er damit Caldas anzügliche Blicke, mit denen sie ihn schon den ganzen
Morgen bedachte.
Wann, fragte er sich aufgebracht,
würde sie endlich begreifen, dass er an ihr nicht interessiert war. Genauso
wenig wie an jeder anderen Frau, die mehr wollte als nur Sex. Sein Herz war wie
die Wüste Gobi. Steintrocken. Ein Abgrund ohne Leben. Mittlerweile hatte er sich
daran gewöhnt.
Hier auf der Insel hatte die
Regenzeit heute Morgen begonnen. Die jetzt starken Winde des Südwest-Monsuns
verfolgten sie auf ihrer Fahrt durch den Dschungel. Der hohe Niederschlag ließ
die dicken Regentropfen hart auf die überdachte Ladefläche ihres Landcruisers
prasseln. Die zwei Sitzbänke rechts und links wurden durch kein Fenster
geschützt und Sébastien fühlte, wie die vom Dach abperlenden Wassertropfen
langsam in den Kragen seines beigen Poloshirts liefen.
Großartig. Seine Laune
verschlechterte sich von Minute zu Minute. Wenigstens hatte er es hingekriegt,
nicht neben der schmachtenden Calda sitzen zu müssen. Sein mächtiger Körper war
eingezwängt zwischen Jai, Ben und Milton. Auf der gegenüberliegenden Bank saßen
Malee, das Honeymoon-Pärchen Amy und Michael und neben ihnen Calda.
»Malee, erzählen Sie uns ein
bisschen über den Tempel, zu dem wir jetzt fahren«, bat Amy, um das angespannte
Schweigen etwas aufzulockern. Dem kam die Hoteldirektorin gerne nach. »Die
Anlage wurde im Jahre 1850 errichtet. Damals war es ein Lepra-Tempel. Zu der
Zeit gab es eine sintflutartige Ausbreitung dieser Krankheit. Aber niemand tat
etwas, um die Seuche zu bekämpfen. Stattdessen ließ der König, ohne das Wissen
der Öffentlichkeit, hastig Tabu-Stätten errichten, in denen die Leprakranken
dahinvegetierten wie Tiere, bis sie qualvoll starben.«
Sébastien, der bis dahin völlig
unbeteiligt gewirkt hatte, zuckte bei dem Wort Tabu zusammen und starrte sie
entgeistert an. Doch Amy nickte ihm beschwichtigend zu und bedeutete Malee
weiterzuerzählen.
»Einmal in der
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