Tränen der Lilie - Die Kristallinsel (Dreamtime-Saga) (German Edition)
Woche sah man über
diesen verbotenen Tabu-Stätten blaues Feuer aufsteigen, wenn sie die Leichname
verbrannten. Irgendwann rebellierten Buddhistische Mönche gegen diese
Unmenschlichkeit. Sie wollten keine Toten verbrennen, sondern die Erkrankten ins
Leben zurückholen und eine Medizin gegen die Seuche finden. Mühsam begannen sie,
mit ihren eigenen Händen die Tempelanlage aufzubauen. Durch die vorbeifahrenden
Seefahrer sprach sich das sehr schnell herum. Und schon nach kurzer Zeit kamen
Helfer aus Indien und Malaysia, boten den Mönchen ihre Hilfe an und beteiligten
sich an dem Projekt. Durch das Heilwissen der ayurvedischen Ärzte war es Indien
schon seit einigen Jahren erfolgreich gelungen, die Seuche einzugrenzen. So
wurde die Anlage allen drei Nationen gewidmet. Es ist der einzige Tempel, in dem
sich neben den Buddhazeichnungen auch eine Vielzahl von Reliefs mit
Darstellungen aus der hinduistischen Mythologie vereinigen und der damit ein
eindrucksvolles Beispiel der Völkerfreundschaft darstellt.«
Interessiert lauschte Amy ihren
Erzählungen.
»Das ist sehr bewegend. Daran
sollte sich die heutige Welt ein Beispiel nehmen. Denn nur, wenn alle Menschen
zusammenhalten, können wir auch Großens bewegen.«
»Ja, da stimme ich Ihnen zu, Amy.
Die Mönche haben ihr ganzes Herzblut in diesen Tempel gesteckt. In dem
Nebentrakt errichteten sie ein Krankenhaus und ein kleines Dorf, in dem die von
der Krankheit genesenden Menschen so lange verweilen durften, bis sie ganz
gesund waren. Schließlich umschlossen die indischen Ärzte das gesamte Gelände
mit einer hohen Begrenzungsmauer. Nicht um die Kranken auszugrenzen, sondern um
ihnen einen geschützten Raum zum Genesen zu geben. Denn laut ihrer ayurvedischen
Regeln kann sich ein Körper nur im völligen Einklang mit sich selbst und der
Natur reinigen, ohne Einfluss der weltlichen Pein. Innerhalb der Tempelmauern
verwandelten sie das Gelände in eine riesige, verwunschene Gartenanlage. Sie
nannten ihn „Das Schweigen der Stille“. Der Tempel hat alle Jahrhunderte und
kriegerische Angriffe überstanden. Das heutige Krankenhaus ist auf dem neuesten
medizinischen Stand und arbeitet sehr eng mit einer amerikanischen Krebs-Klinik
zusammen.«
»Wirklich? Amerikanische Ärzte
glauben an die asiatische Naturheilkunde?«, warf Milton ein und beugte sich
gespannt vor.
Malees fesselnder Bericht
inspirierte ihn zu neuen Ideen.
»Ja«, erwiderte Malee stolz und
freute sich sichtlich über das Interesse des weißhaarigen Doktors.
»Auch heute noch ist es nur
buddhistischen Mönchen, indischen Ärzten und malaiischem Pflegepersonal erlaubt,
dort zu praktizieren. Sie haben sich darauf spezialisiert, krebskranken
Patienten nach einer Operation zu helfen. Und Körper und Seele wieder in
Einklang miteinander zu bringen. Es ist ein sehr abgeschiedener Ort und wurde
mit Absicht mitten im Dschungel errichtet. Damit sich keine neugierigen Besucher
dorthin verirren. Sie gewähren auch nur wenigen Besuchern Einlass. Darum sollten
wir dankbar sein, dass Nahla uns empfängt. Und auch wenn Ihnen etwas fremd
erscheint, achten Sie darauf, immer einen höflichen Ton beizubehalten.«
Ihr ängstlicher Blick auf
Sébastien wurde von ihm mit einem empörten Grunzen quittiert. Ben gluckste in
sich hinein und ignorierte Sébastiens Seitenhieb mit dem Ellenbogen. Auch er
hatte der Unterhaltung aufmerksam zugehört.
Unauffällig rutsche er ein wenig
weiter von Sébastiens Ellenbogen weg und fragte an Malee gewandt: »Warum
betrachten die Inselbewohner eigentlich eine indische Ärztin als Hexe?«
Zum ersten Mal, seit Amy die
Hoteldirektorin kennengelernt hatte, bemerkte sie, wie jetzt ein verzaubertes
Lächeln ihr Gesicht überzog und sie sich sichtlich entspannte. Sébastien wandte
den Blick auch weiterhin nicht von den grünen Tälern ab. Nur wer ihn sehr gut
kannte, bemerkte, wie sich seine linke Augenbraue neugierig hob.
Malees melodische Stimme
antwortete Ben nach einer kleinen Weile.
»Weil sie eine weiße Hexe ist.
Sie weiß, dass die Seelen der Menschen wie Kristalle sind. Jede Seele hat ihren
eigenen Siedepunkt, durch die sie gereinigt und geschmolzen werden kann. Man
muss nur zu ihrem Chakra, ihrem Kern, gelangen. Dazu ist nur Nahla in der Lage.
Sie ist eine der letzten sieben Tempelpriesterinnen auf der Welt, die diese
Kunst noch beherrschen.«
Alle hörten den Respekt und die
Ehrfurcht, die in Malees Worten mitschwang. Und
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