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Tränen der Lilie - Die Kristallinsel (Dreamtime-Saga) (German Edition)

Tränen der Lilie - Die Kristallinsel (Dreamtime-Saga) (German Edition)

Titel: Tränen der Lilie - Die Kristallinsel (Dreamtime-Saga) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bianca Balcaen
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behüteten Nest fallen.
    Fasziniert beobachtete er das
jetzt einsetzende Naturphänomen. Sobald ihre winzigen Eidechsenkörper in Kontakt
mit dem Farn kamen, nahmen sie seine grüne Farbe an. Mit ihren noch wackeligen
vier Beinchen krabbelten sie in dem dichten Geflecht hin und her. Sébastiens
Augen konnten sie kaum noch erkennen, so gut hatte sich ihr Hautton der Umgebung
angepasst.
    Doch da, jetzt entdeckte er
wieder einen. Das vorwitzige Tierchen krabbelte auf das Ende eines Blattes zu.
Im selben Moment gab der filigrane Wedel nach und beugte sich zu Boden. Mit
einem leisen Blubb fiel es auf den Blütenkelch und nahm innerhalb von Sekunden
die rosagesprenkelte Farbe der Orchideenblätter an. Sébastien nahm ihre Hand von
seinem Schenkel und führte sie an seine Lippen.
    »Danke, dass du mir das gezeigt
hast.« Mit einem sanften Lächeln erhob sie sich.
    »Gern geschehen, Neandertaler.«
Spitzbübisch grinste sie.
    Danach ließen sie die Lichtung
hinter sich und wanderten gemächlich weiter. Immer mehr Sonnenstrahlen
vermischten sich mit dem lichten Schatten. Kurz darauf erreichten sie das Ende
des tropischen Regenwaldes und kamen an einem abseits des Weges gelegenen
Holzhaus vorbei.
    Am Gartentor entdeckte Sébastien
ein Minihäuschen auf einem Holzpfahl. Fragend wandte er sich an Nahla. »Erzähl
mir mehr. Was sind das für kleine Häuschen, die wie Briefkästen aussehen? Ich
habe sie vor jedem Gebäude hier gesehen. Außer vor den Läden am Hafen.«
    Nahla sah ihn aufgrund seiner
sehr guten Auffassungsgabe erstaunt, aber auch erfreut an. So viel Interesse
hatte sie ihm wohl gar nicht zugetraut. Sie bemühte sich, ihren komplexen
Glauben in verständliche Worte für Sébastien zu fassen.
    »Außer dem Glauben an Buddha
haben Thailänder auch ein sehr inniges Verhältnis zu Geistern. Diese sorgen für
Wohlstand und für Gesundheit. Sie können aber auch das Leben bedrohen oder
Schaden zufügen. Zum einem gibt es die Totengeister, die sogenannten Phis. Das
sind die Seelen von gewaltsam Getöteten und Verstorbenen, die die Erde
heimsuchen und meistens schädlichen Einfluss haben. Da niemand vor diesen
Totengeistern sicher ist, versucht man sich mit Hilfe von Amuletten und
Tätowierungen zu schützen. Und dann gibt es die Naturgeister, die an eine
Region, eine Stadt oder an ein Grundstück oder eine Wohnung gebunden sind. Diese
Geister können positive oder auch negative Auswirkungen haben. Darum hat jedes
Privatgrundstück, selbst Banken- und Hotelkomplexe in der Hauptstadt Bangkok ein
Chao Thi, das auf einem Pfahl steht und als ein kunstvoller Miniaturtempel
gestaltet ist. Der Standort dieser Geisterhäuschen ist immer nach Süden oder
nach Norden ausgerichtet. Auf keinen Fall dürfen sie im Schatten stehen, denn
sonst könnten sich die Phis weigern, den Miniaturtempel zu beziehen. Damit die
Geister zufrieden sind und keinen Schaden anrichten, werden ihnen jeden Tag
Opfergaben dargebracht. Girlanden aus Jasmin, Orchideen und anderen Blumen, den
Puang Ma Lai, Räucherstäbchen, Kerzen und Essensgaben. Alle Speisen müssen immer
frisch zubereitet sein. Jeden Morgen wird eine neue Kostprobe zum
Geisterhäuschen gebracht.«
    Mitten in ihrer Erzählung ging
ein Ruck durch Sébastiens Körper. Er versteifte sich, als die Vision in ihn
eindrang. Nahla unterdrückte einen Schmerzensschrei, als er unerwartet und hart
ihre Hand zusammenpresste.
    »Sébastien! Was ist passiert …«
    Seine Gedanken überschlugen sich.
Doch aufgrund der vielen und ihm unbekannten Lärmquellen des nahegelegenen
Dorfes hatte er Mühe, seine Vision zu bündeln. Instinktiv ahnte sie sicher, dass
er von einer Vision überrannt wurde, denn sie reagierte auch auf seine
Angespanntheit. Leise trat sie auf ihn zu und strich mit ihren schmalen Fingern
mit kreisenden Bewegungen über seine Schläfen.
    Schlagartig spürte Sébastien,
dass seine Gedanken ruhiger wurden und er seine Vision bündeln konnte.
    »Es ist wieder etwas passiert«,
flüsterte er abgehackt. »Ich sehe Tod und Gewalt … Viel Blut.«
    Langsam kam er in die
Wirklichkeit zurück. Die Schatten der Vision lösten sich auf und Sébastien
öffnete seine hellbrauen Augen, in denen Nahla den Schmerz über das eben
Gesehene erkennen konnte. Mitfühlend strich sie ihm über seinen Arm. Unter ihrer
Hand fühlte sie, wie sich seine gesamten Muskeln anspannten.
    Sein Körper war bereit zum
Angriff. Sie las die fast lautlosen Worte von seinen

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