Tränen der Lilie - Hüter der Gezeiten (Bianca Balcaen: Geisterkrieger-Serie) (German Edition)
Freuden, Belange, oder Wünsche der
glücklichen
Mütter, nahm er gelangweilt zur Kenntnis und ging kaum darauf
ein. Es
interessierte ihn einfach nicht. Im letzten Zimmer nahm die
Oberschwester das
Krankenblatt aus dem Fach am Bettende und las vor:»Patricia
Lloyd.
Fürsorgefall. Geschickt vom Sozialamt. Minderjährig. Siebzehn
Jahre. Seit
gestern Nacht leichte Wehen. Der errechnete Geburtstermin ist
normalerweise
erst in zwei Wochen.
Professor Russell starrte sie an als wäre sie ein
lästiges Insekt.
»Na Mädchen, du hast ja früh angefangen mit den schönen
Seiten des
Lebens.
Jetzt habt ihr euren Spaß gehabt und dein Freund ist
wie so oft in so
einer Situation abgehauen, habe ich Recht ?«
Die umstehenden Assistenzärzte unterdrückten ein
leichtes Grinsen. Amy
erschauerte und starrte ihn ungläubig an.
»Nein«, flüsterte das Mädchen traurig, »mein Freund
hatte vor drei
Tagen einen unverschuldeten Autounfall.
Ein Geisterfahrer hat ihn auf dem Highway frontal
gerammt. Er war
unterwegs zum Friedensrichter, um die letzten Details unsere
Trauung zu
besprechen.
Ich fühlte mich nicht so gut mit meinem dicken Bauch
und blieb zu
Hause. Darum ist er alleine gefahren. Wir wollten in zwei Wochen
heiraten. Nach
der Geburt unserer Tochter.«
Voller Trauer sah sie ihn an.
»Jason wird seine Tochter nie mehr kennenlernen. Er
starb noch am
Unfallort. Genickbruch, er war sofort tot .«
Schmerzverzerrt drehte sie ihr Gesicht zur Seite und
presste dabei die
Hand auf ihren gewölbten Bauch. Professor Russell schien auch
diese traurige
Geschichte nicht sonderlich zu berühren. Er blickte die
männlichen
Medizinstudenten an und sprach mit spöttischer Stimme weiter.
»Das entschuldigt damit natürlich sein Nichterscheinen
hier im
Krankenhaus. Vielleicht hat er ja auch den Autounfall als
kleineres Übel betrachtet,
gegenüber diesem Unfall hier .« Mit
diesen leise
gemurmelten Worten schob er die Bettdecke beiseite und begann
mit der
Untersuchung des Muttermundes. Er war erst zwei Zentimeter
geöffnet. Amy warf
ihm einen vernichtenden Blick zu und war zutiefst fassungslos.
Wie konnte man als Arzt nur so abgestumpft sein. Sie
konnte kaum noch
an sich halten.
»Professor, auch wenn dieses Mädchen nur ein Sozialfall
ist, steht es
ihnen bestimmt nicht zu, sie so zu behandeln. Und wenn es in
ihrer Welt einen
Gott gibt dann werden sie für diese Worte in der Hölle schmoren,
das schwöre
ich so wahr ich hier stehe .«
Ohne mit der Wimper zu zucken hielt sie seinem
überraschten,
verärgerten Blick stand und verharrte in eisigem Schweigen. Auch
wenn sie
hiermit ihre Ausbildung aufs Spiel setzte. In diesem Moment war
ihr dieser
Gedanke vollkommen egal. Aber niemals im Leben würde sie es
zulassen, dass ein
Mensch über einen anderen Menschen urteilte ohne die wahre
Situation oder die
Hintergründe zu kennen. Schon gar nicht ein Arzt. Er, dieser
gottgleiche
Professor für den ihn alle hielten. Hatte nicht auch er einmal,
vor vielen
Jahren, den alten hippokratischen Eid geschworen?
Amy schaute ihn mit aufrechtem Blick an und begann mit
klarer Stimme
den Eid zu zitieren:
»Bei meiner Aufnahme in den ärztlichen Berufsstand
gelobe ich
feierlich, mein Leben in den Dienst der Menschlichkeit zu
stellen. Ich werde
mit all meinen Kräften die Ehre und die edle Überlieferung des
ärztlichen
Berufes aufrechterhalten und bei der Ausübung meiner ärztlichen
Pflicht keinen
Unterschied machen. Weder nach Religion, Nationalität, Rasse,
noch
Parteizugehörigkeit oder sozialer Stellung. Und Professor
Russell, wenn sie
ihren Eid nach der altehrwürdigen Verfassung abgelegt haben,
dann haben sie das
bei Apollon den Arzt und Asklepios und Hygieia und Panakeia und
allen Göttern,
als Zeugen geschworen.«
Amy verstummte und sah ihn ernst und abwartend an. Man
konnte sehen
wie es in ihm arbeitete. Er hatte nicht übel Lust ihr ins
Gesicht zu schlagen
oder sie sofort vom Dienst zu suspendieren. Sie vom Studium
auszuschließen.
Noch ganz andere schlechte Gedanken schlichen sich
kurzfristig in sein
Gehirn. Aber dann begann er abzuwägen.
Das schwangere Mädchen und auch die anderen Studenten
hatten seine
böswilligen Kommentare alle mit angehört.
Auch wenn die jungen Männer eben mit gelacht hatten, er
konnte sich
über ihre Verschwiegenheit nicht
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