Tränen des Mondes
die weiße Uniform, allerdings mit einer für seine unkonventionelle Art typischen, ganz persönlichen Note. Während die eitleren Männer Goldknöpfe bevorzugten – nach einer besonders ertragreichen Perlensaison sogar echte Goldsovereigns –, trugen die anderen gewöhnlich Silberknöpfe an ihrer Uniform. Tyndalls Uniform dagegen war mit Perlmuttknöpfen bestückt, und an seinem Ohr hing der goldene Ohrring mit der wunderbaren Perle. Als betonte Geste der Zwanglosigkeit trug Tyndall den Kragen offen. Während Olivia bei ihrer ersten Begegnung am Strand von Cossack noch über Tyndalls Erscheinung gestaunt hatte, fand sie seine Extravaganz heute ungemein anziehend. Er sah aus, als sei er gerade eben vom Deck eines Loggers gesprungen, sein Haar kringelte sich um die Ohren und war nicht vom Tropenhelm platt gedrückt wie bei den meisten Männern. Conrad dagegen, in seiner tadellosen Uniform, wirkte so, als sei er gerade frisch gebügelt aus dem Schrank gekommen.
Tyndall blieb an einem der Nebentische stehen, um eine Familie zu begrüßen. Die Töchter zirpten aufgeregt und bekamen rosige Wangen.
Conrad sah amüsiert zu. »Er ist ein echter Frauenheld. Ich möchte wetten, er könnte jede Frau in Broome oder sonstwo haben, wenn er wollte. Aber nein, er zieht keine von ihnen in Betracht … und entscheidet sich für eine vollkommen unpassende Person.«
»Wenn die Sache mit Niah publik wird, werden einige junge Damen hier in der Stadt ihr Näschen ganz schön hoch tragen. Vielleicht sollte er erwägen, endlich seßhaft zu werden, das würde das Problem lösen«, bemerkte Olivia.
»Warum?« konterte Conrad. »Um bösem Gerede über unsere Firma zuvorzukommen?« Er hob die Augenbrauen. »Ich kann hier keine junge Frau entdecken, die den Liebreiz von Niah hätte und Tyndall gefallen würde«, fügte er rasch hinzu.
Olivia antwortete nicht, denn Tyndall hatte sie entdeckt und steuerte nun direkt auf ihren Tisch zu. Er gab Conrad die Hand und verbeugte sich vor Olivia. Nachdem er ihnen allen noch etwas zu trinken bestellt hatte, ließ er sich in einen Korbsessel fallen und streckte die langen Beine aus.
»So«, erklärte er.
»So?« wiederholte Olivia und blickte ihn fragend an.
»Alles ruhig auf See, würde ich sagen.«
»Was war das für eine Geschichte mit dem Wal?« wollte Conrad wissen, ängstlich bemüht, das Thema Niah nicht anzuschneiden.
»Na ja, das war ziemlich knapp.«
Tyndall schilderte das Geschehen und sparte nicht an drastischen Einzelheiten. Conrad nippte an seinem Drink. Er war sich nicht sicher, ob Tyndall nicht maßlos übertrieb, wußte aber, daß seine Geschichte leicht nachgeprüft werden konnte. Olivia lauschte gebannt und zeigte sich sichtlich bestürzt, als ihr klar wurde, wie leicht er hätte getötet werden können.
Conrad schüttelte den Kopf. »Na, das werden Sie bestimmt nie wieder tun.«
»Was denn? Tauchen? Na und ob«, grinste Tyndall.
»Sie leben offensichtlich gern gefährlich«, bemerkte Olivia. Er warf ihr einen durchdringenden Blick zu und fragte sich, ob sie auf Niah anspielte.
Eine betretene Pause trat ein, die Conrad jedoch geschickt überspielte. »Und nun zu Niah. Ich denke, wir sollten darüber reden.«
»Muß das hier und jetzt sein?« fragte Tyndall gelangweilt.
Conrad brachte vorsichtig die Punkte zur Sprache, die er und Olivia beredet hatten. »Was ich sagen will, alter Knabe, wir sind doch Partner, und was der eine tut, betrifft auch den anderen und die ganze Firma.«
»Nun, ich habe bestimmt nicht vor, Ihnen irgendwelchen Kummer oder Peinlichkeiten zu …«
»Das hätten Sie sich vorher überlegen sollen«, fuhr Olivia dazwischen.
Tyndalls Augen blitzten. »Haben Sie sich noch nie von Ihren Gefühlen leiten lassen? Hören Sie, Niah wird für die nächste Zeit bei mir bleiben. Ich habe sie in meinem Haus einquartiert.«
Die Unverblümtheit dieser Worte machte Olivia sprachlos. Tyndall war offenbar nicht geneigt, wenigstens eine fadenscheinige Ausrede vorzuschieben, um das Gesicht zu wahren.
»Schauen Sie, ich könnte natürlich vorgeben, daß sie als Dienstmädchen oder als Köchin bei mir arbeitet, aber niemand in dieser Stadt würde mir das abkaufen.« Er blickte Olivia herausfordernd an. »Ich habe nicht vor, als Heuchler dazustehen. Erwarten Sie etwa von mir, daß ich eine dicke Lüge auftische?«
Conrad mischte sich ein, noch ehe Olivia zu einem klaren Gedanken kam. »Hören Sie, John, lassen Sie uns doch in Ruhe reden. Ich verstehe Sie ja, aber
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