Tränen des Mondes
schlurfte davon.
Olivia konnte hören, wie Tyndall aus dem Koch herauszubekommen versuchte, wer da gekommen sei. Schließlich kam er ungehalten in die Halle und fragte: »Wer ist da?«
»Ich bin es, Kapitän Tyndall. Ich möchte mit Ihnen reden.«
Tyndall stand überrascht in der Haustür. Er war mit einer einfachen Baumwollhose und nur einem Unterhemd bekleidet. Über seiner Schulter hing ein Handtuch, und seine Haare schimmerten feucht. Er entschuldigte sich bei Olivia für sein ungebührliches Aussehen, führte sie auf die Veranda zu einem bequemen Sessel und ließ sie einen Moment allein. Sie hörte ihn nach kalter Zitronenlimonade rufen, dann kehrte er, noch immer damit beschäftigt, sein Hemd zuzuknöpfen, zu ihr zurück.
»Ich kann mir denken, warum Sie gekommen sind. Also?«
»Wie ist die Lage der Dinge, Kapitän Tyndall, und zu welcher Lösung sind Sie gekommen?«
»Lösung? Ich dachte, wir hätten alles geklärt.«
»Wie stehen die Dinge zwischen Ihnen und Niah?«
»Ganz einfach. Wir sind ein Paar. Sie wird hier einziehen, und ich werde irgendeine Beschäftigung für sie finden. Sie ist ein kluges Ding und lernt schnell.«
»Das glaube ich gern«, konterte Olivia spitz. »Also wirklich, es ist eine Schande. Wie konnten Sie so etwas tun? Es ist einfach nicht fair dem Mädchen gegenüber, und auch nicht gegenüber Conrad und mir. Das Ganze hat doch keine Zukunft, und überhaupt … ich dachte, Sie seien besser als …«, sie kämpfte mit den Worten, »… diese Schürzenjäger, die heimliche Geliebte unter den Eingeborenen haben.«
»Ach, das stört sie? Ihre Hautfarbe? Aber die Aborigines waren Ihnen damals willkommen, als Sie Ihnen zu Hilfe kamen.«
»Es ist nicht nur die Hautfarbe. Sie ist noch so jung! Sie sieht in Ihnen doch nur ein Mittel zum Zweck. Alles, was sie will, ist hierbleiben und von Ihnen versorgt werden.« Olivia ärgerte sich zusehends über Tyndalls Fragen und seine gelassene Art.
Seine Stimme wurde eisig. »Was ist daran so schlecht? In einer anderen Kultur wäre Niah heute bereits verheiratet. Ich hatte angenommen, Sie wären etwas fortschrittlicher in Ihrem Denken. Sie klingen genau wie die Damen bei den Teekränzchen im Hause des Friedensrichters.«
Olivia zögerte einen Moment. Ihre Einstellung den Aborigines gegenüber galt gemeinhin als unkonventionell. Sie war sogar stolz darauf, daß man sie in der hiesigen Gesellschaft als eine Art Rebellin ansah. Warum also regte sie sich so darüber auf, daß Tyndall ebenfalls den Regeln der weißen Gesellschaft zuwiderhandelte?
Ehe sie jedoch zu einer Antwort ansetzen konnte, fuhr Tyndall mit wachsender Verärgerung fort. »Tun Sie doch nicht so, Olivia! Sie finden es ganz interessant, eine rebellische Einstellung zu pflegen, solange ihr kleines häusliches Glück dadurch nicht ins Wanken gerät. Sie sind eifersüchtig auf ein dunkelhäutiges Mädchen, das keine Bildung hat und aus einem anderen Kulturkreis stammt. Ich dachte wirklich, Sie wären besser als die anderen.«
»Lassen Sie mich aus dem Spiel! Es betrifft uns alle! Ganz besonders Niah! Sie ist ein einfaches Mädchen, und Sie haben sie verführt – nicht nur im körperlichen Sinne sondern auch, weil sie ihr etwas vorgaukeln, ihr falsche Versprechungen machen. Sie versteht das nicht. Was soll denn einmal aus ihr werden?«
»Kümmert Sie das wirklich, Olivia? Oder kümmert sie nur, was die Leute denken?« schrie er sie an.
»Natürlich sorge ich mich um Niah. Ich sorge mich auch um Sie, John! Niah hier im Haus zu haben ist Wahnsinn!« Nun schrie auch Olivia.
»Sie sind eifersüchtig, Olivia. Schlicht und einfach eifersüchtig. Lassen Sie uns in Frieden, und die Dinge werden sich regeln. Und wenn Sie schon dabei sind, überdenken Sie mal Ihre eigenen Gefühle. Hören Sie auf, andere nach Maßstäben zu beurteilen, die nur Sie für richtig erachten.«
»Dann sollten Sie auch mal über Ihre Beweggründe nachdenken, John Tyndall«, entgegnete Olivia, sprang auf und rauschte an dem chinesischen Koch vorbei, der ratlos mit dem Tablett in der Hand dastand.
Olivia fühlte sich zutiefst gekränkt. Als sie wutschnaubend über den Fußweg aus zerstoßenen Muschelschalen hastete, rief Tyndall ihr in belustigtem Ton hinterher: »Immerhin nennen wir uns jetzt endlich beim Vornamen!«
Olivia knallte die Gartentür hinter sich zu und stampfte mit hoch erhobenem Kopf und innerlich kochend davon. Während die Sonne auf dem Heimweg unerbittlich auf ihren weißen Sonnenschirm
Weitere Kostenlose Bücher