Tränen des Mondes
brannte, begann sich ihr Ärger allmählich zu verflüchtigen. Dennoch ging ihr die heftige Auseinandersetzung noch lange nach, ganz besonders der Vorwurf, daß sie eifersüchtig sei. Warum bloß sollte sie eifersüchtig sein? Sie war eine verheiratete Frau. Tyndall konnte doch schlafen, mit wem er wollte. Hätte sie sich vielleicht genauso aufgeregt, wenn das Mädchen in Tyndalls Bett eine attraktive Weiße gewesen wäre? Ärgerte sie sich etwa darüber, daß Tyndall einem Mädchen den Vorzug gab, das von ihrem gesamten Freundeskreis und ihren Geschäftspartnern als minderwertig und nicht gesellschaftsfähig eingestuft wurde? Oder wäre sie am Ende auf jede Frau eifersüchtig, die sich Tyndall erkor?
An diesem Abend vertiefte Conrad sich in seine Zeitschriften und Magazine, die Monate nach ihrem Erscheinen aus England eingetroffen waren. Olivia saß im Dunkeln auf der Veranda und lauschte den nächtlichen Geräuschen im Garten. Eine warme Brise wehte herüber. In den starken Duft der Jasminblüten mischte sich der leichte Faulgestank der Mangroven. Dieser für Broome so charakteristische Geruch war Olivia inzwischen sehr vertraut geworden. Sie bedauerte den Streit mit Tyndall, war andererseits aber froh, daß sie ihrem Herzen Luft gemacht hatte. Sie würde den Dingen ihren Lauf lassen und darauf bauen, daß Tyndall sich diskret verhalten oder doch noch zur Vernunft kommen würde. Sie würde dem Geschäft zuliebe einen freundlichen Umgang mit ihm pflegen, wohl wissend, daß ihre Freundschaft durch sein Verhältnis zu Niah beeinträchtigt wurde. Sie würde weiterhin ihre Würde bewahren, denn sie brauchte sich nichts vorzuwerfen.
Und in ihrem Inneren hörte sie Tyndalls Stimme: »Ich auch nicht.«
Zur selben Zeit saß Tyndall tief in Gedanken auf seiner Veranda bei einem Schlummertrunk. Niah kam auf leisen Sohlen zu ihm, setzte sich zu seinen Füßen und lehnte den Kopf an seine Knie. Gedankenverloren strich Tyndall ihr über das Haar. Die heftige Auseinandersetzung mit Olivia hatte ihn traurig gestimmt. Jetzt, da ihre Freundschaft ins Wanken geriet, wurde ihm erst bewußt, daß sie mehr für ihn war als eine Geschäftspartnerin. Er mußte sich sogar betreten eingestehen, daß er Olivias Anerkennung brauchte und suchte. Trotzdem konnte er nicht umhin, diese Frau mit dem frostigen Blick und der förmlichen Art mit jener vom Wind zerzausten Gestalt zu vergleichen, die auf der
Bulan
in ihrer verrückten Kluft aufgetaucht war und gerade das Lachen wieder entdeckt hatte. Als Niahs Hand ihm zärtlich über den Schenkel fuhr, wurde ihm bewußt, welche Leere sie in seinem Leben ausfüllte, und bald schon waren seine Gedanken an Olivia vergessen.
Im Verlauf der nächsten drei Jahre wandelte sich die Beziehung zwischen Olivia und Tyndall allmählich. Ihre Geschäftspartnerschaft festigte sich immer mehr, da sie sich gegenseitig achteten und die Fähigkeiten des anderen schätzten. Auch ihre Freundschaft bestand fort, aber die Innigkeit früherer Zeiten fehlte. Sie mochten wohl das eine oder andere Mal ein kurzes Lächeln tauschen, doch sobald ihre Blicke sich trafen, legte sich ein Schleier über Olivias Augen, und sie wandte sich ab.
Tyndall erkannte die unsichtbaren Schranken und versuchte nicht, sie zu überschreiten. Er ging seinen Geschäften nach und neckte Olivia kaum noch, wie er es früher zu tun pflegte.
Olivia wiederum hielt sich mit ihrer Kritik mehr zurück, auch wenn sie sie gerne wie in alten Zeiten unverblümt geäußert hätte. Auch fehlte ihr das neckische Geplänkel mit Tyndall. Dies war eine Kunst, die Conrad nicht beherrschte. Dennoch blieben sie dabei und nannten sich weiterhin beim Vornamen – eine erstaunliche Folge ihres Streits wegen Niah.
Conrad war froh über das stabile freundschaftliche Verhältnis und spürte nichts von der unterschwelligen Spannung zwischen Tyndall und Olivia. Die Geburt ihres zweiten Sohnes Hamish zwei Jahre zuvor hatte ihrem Leben neuen Auftrieb gegeben. Conrad war allerdings überrascht, daß Olivia sich trotz ihrer Beanspruchung durch das Baby und ihrer knappen Zeit weiterhin so stark für die
Star of the Sea Pearl Company
einsetzte. Er schrieb es ihrem Engagement für ihr Perlenunternehmen zu, und da sie Hilfe im Haushalt hatten, sah er keinen Grund, warum Olivia sich nicht in der Firma betätigen sollte.
Olivia nahm ihren kleinen Sohn Hamish an der Hand und ging mit ihm zum Hafen. Beim Anblick der zum Auslaufen bereiten Logger, die nur noch auf die
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