Tränen des Mondes
wußte jeder, was während der Landaufenthalte an manchen Nachmittagen und nach Dunkelheit in Sheba Lane vor sich ging, aber keiner sprach in der Öffentlichkeit darüber. Ach, zum Teufel. Doch so sehr er sich auch bemühte, die Sache leicht zu nehmen: Olivia gegenüberzutreten beunruhigte ihn. Er erkannte auf einmal, daß sie mehr als nur eine Geschäftspartnerin war. Er wollte sie nicht enttäuschen, nicht nur, weil sie geschäftlich miteinander verbunden waren, sondern auch, weil sie Olivia war. Seine Besorgnis legte sich jedoch schnell, als er Niah an Deck stehen sah. Sie lächelte im Mondlicht zu ihm herunter, das lange Haar wehte in der leichten Brise und die Erinnerungen an ihren sinnlichen Körper erfüllten ihn mit nur einem Gedanken.
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Elftes Kapitel
D ie Ankunft eines Dampfers war jedesmal ein Ereignis. Wenn das einlaufende Schiff bei Flut am Anleger festmachte, kamen ganze Familien zur Begrüßung herbeigeströmt. Es war geradezu ein gesellschaftliches Ereignis, das die weiße Gemeinde zu einem Aufmarsch im besten Sonntagsstaat nutzte. Die Damen waren mit riesigen Hüten und Spitzensonnenschirmen herausgeputzt, rafften zierlich den Rocksaum über dem rötlichen Straßenstaub und flanierten am Arm ihrer Ehemänner, die ihre schnittige Tropenuniform trugen. Kinder sprangen um sie herum und tobten über den Steg. Zu dem bunten Völkchen am Pier gehörten auch die chinesischen Kinderfrauen und malaiischen Amahs, die Kupanger Boys und die japanischen Hausmädchen, die Kleinkinder an der Hand hielten oder hochrädrige englische Kinderwagen schoben.
Der Friedensrichter war immer unter der handverlesenen Schar erlauchter Gäste, die vom Kapitän an Bord des Schiffes eingeladen wurden. Bei Ebbe, wenn das Schiff buchstäblich auf dem trockenen saß, nutzten die Passagiere die Gelegenheit, wieder einmal festen Boden unter den Füßen zu spüren. Sie wanderten um das Schiff herum, um neugierig die Unterseite des Rumpfs zu betrachten. Oder sie unternahmen Erkundungsspaziergänge durch Broome, rümpften die Nasen angesichts der stinkenden Muschelschuppen und der fremdartigen Gerüche aus den chinesischen Eßlokalen, wo Chop Suey, Nudelsuppe oder gebratener Reis serviert wurde. Vielleicht kamen sie auch an einer Kolonne von Aborigines vorbei, die in Fußketten zur Arbeit geführt wurden, oder bekamen im Schatten eines Torbogens von einer dunklen Gestalt eine Perle zum Verkauf angeboten. Am anderen Ende der Stadt trafen sie womöglich auf Mohammed und Moosha Khan mit ihrer Kamelkarawane, die sich gerade mit Waren und Proviant auf den Weg zu den großen Farmen oder zu den Goldminen von Kimberley machten.
Die Schiffsmannschaft war mit Geschäften zugange. Gestohlene Perlen wurden gekauft, Schmuggelware getauscht und Pakete übergeben. Die europäischen Perlenkäufer schwebten an Land und wurden von den Perlenunternehmern wie königliche Hoheiten empfangen, während die japanischen Perlentaucher, ebenfalls mit hoheitlichem Stolz, durch Chinatown bummelten. In dem berüchtigten Viertel brummte es, die Spielhöllen und Bordelle bereicherten sich an den Besucherströmen und ihrem Bargeld.
An die zwanzig Logger und Schoner kamen gleichzeitig mit der Flut herein, kämpften um einen Liegeplatz im Hafen oder segelten gleich weiter zu den Camps am Ufer.
Es gab laute, hektische und rührende Szenen, wenn Familien sich wiedersahen und die Mannschaften mit dem Entladen der Schiffe begannen. Sackkarren, Handwagen, Waggons, Muschelsäcke, Postsäcke, das Gepäck der Dampferpassagiere und Frachtgut aus dem Süden bildeten ein einziges Durcheinander.
Kaum ein Müßiggänger in der Stadt, der sich dieses bunte Treiben entgehen ließ. Durch die Menge schob sich auch Yoshi, der seinen Helm wie ein höheres Rangabzeichen trug.
Als Olivia und Conrad am Anlegesteg eintrafen, war der größte Teil der Fracht der
Bulan
bereits ausgeladen, und Tyndall wollte gerade mit der
Shamrock
ablegen, um noch bei Flut das Camp am Ufer zu erreichen.
»Da sind sie«! Olivia winkte aufgeregt, nahm Conrad bei der Hand und zog ihn ungeduldig voran. »Kapitän Tyndall«, rief sie.
Tyndall blickte von der Bootsleine auf, die er gerade loswerfen wollte. Er ließ sie sinken und befestigte sie rasch mit mehreren halben Schlägen. »Gut, Sie zu sehen«, rief er zurück und kam auf die Seite, um Olivia an Bord zu helfen. »Tag, Conrad. Hoffe, ihre Arbeit war genauso ergiebig wie unsere Fahrt«, scherzte er.
Olivia kam Conrad zuvor. »Wirklich schön,
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