Tränen des Mondes
wandte sich zum Gehen. »Conrad läßt auch grüßen und wünscht Ihnen gute Fahrt«, rief sie noch.
Tyndall sah Olivia und ihrem Sohn nachdenklich nach. Als er sich zu Niah umwandte, schenkte sie ihm ein bezauberndes Lächeln. »Ich dir auch einen Sohn geben, Tyndall. Du sehen.«
»Aber hoffentlich erst, wenn wir sicher wieder in Broome sind«, frotzelte er.
Einige Wochen später, noch immer auf hoher See, lagen Niah und Tyndall in der kühlen Nachtbrise an der Deck der
Shamrock
. Am Himmel hing ein satter, gelber Vollmond, der auf das Wasser schien. Und mit einem Mal sahen sie vor sich jene Erscheinung, die man gemeinhin ›Die Goldene Leiter zum Mond‹ nennt. Dieses Naturphänomen, das jährlich wiederkehrt, wird zu bestimmten Zeiten durch unsichtbare atmosphärische Schwankungen verursacht. Diese bewirken, daß der silbrig-goldene Mondstrahl durchbrochen wird, so daß eine goldene Leiter von der Wasseroberfläche zum Mond zu führen scheint.
»Wir steigen hinauf«, sagte Niah und deutete auf den Mond.
»Das schaffst du nie. Zu dick«, lachte Tyndall und streichelte ihren Bauch. Glücklich schmiegte sie sich in seine Arme. Während er sie so umschlungen hielt, spürte er den Perlmuttanhänger zwischen ihren Brüsten. »Erzähl mir davon«, bat er.
»Ist Zeichen von meinem Stamm. Sehr alt. Erstes Mädchen immer kriegen.«
»Aha, die Männer wohl nicht, was? Und was bedeutet es?«
»Meine Mutter-Mutter kommen von hier. Heiraten Mann von Makassar. Mit ihm fortgehen, weit fort.«
Tyndall war verblüfft zu erfahren, daß ihre Großmutter eine Aborigine war. »Niah, weißt du denn, zu welchem Stamm das gehört?« fragte er und deutete auf den Anhänger.
Sie schüttelte den Kopf. Ein wehmütiger Blick trat in ihre Augen und Tyndall wurde klar, daß sie ihre Familie sehr vermißte, gerade jetzt, da die Geburt ihres Kindes bevorstand. »Es müssen Küstenbewohner gewesen sein«, meinte er nur. Und so lagen sie nebeneinander und schauten auf die goldene Leiter zum Mond, die über dem Wasser schimmerte. Tyndall fühlte sich wohl, das Mädchen machte ihn sehr glücklich, und das Kind würde sein Glück noch vervollständigen. Derlei müßige Gedanken wären ihm früher nie in den Sinn gekommen, aber er hatte erkannt, daß er sich mittlerweile nach jener Geborgenheit sehnte, die Conrad und Olivia miteinander teilten. Mit einem Kind, so schien es ihm, würde er wenigstens eine Spur auf diesem Planeten hinterlassen. Bisher war er nur für sich selbst verantwortlich gewesen. Das war wohl einer der Gründe dafür, daß er ein so leichtfertiges Leben geführt hatte. Er beugte sich zu Niah herab und küßte sie zart auf die Wange. Sie blickte zu ihm auf und lächelte ihn an.
Als die Perle in seinem Ohr im Mondschein aufblitzte, faßte sie sie vorsichtig an. »Was das bedeuten?«
»Ich habe sie bei einem Kartenspiel gewonnen und fand sie so schön, daß ich beschloß, noch mehr davon zu finden.«
»Das da
Träne des Mondes
«, flüsterte Niah und fuhr sanft über die Perle, die genau die Farbe des Mondes über ihnen widerspiegelte. »Meine Mutter sagen … diese da, Perlen … wenn Göttin des Mondes weint, Tränen fallen in Meer und machen Perlen.«
»Das ist wunderschön, Niah …
Tränen des Mondes
. Das gefällt mir.«
Niah reckte sich schläfrig. »Baby und ich jetzt schlafen.«
Die
Shamrock
ankerte in einer kleinen Bucht ganz in der Nähe der Stelle, wo die unglückselige
Lady Charlotte
Schiffbruch erlitten hatte und Tyndall Olivia zum ersten Mal begegnet war. Heute waren das Wetter und die See friedlich gestimmt, und so wateten Niah und Tyndall an Land, um dort eine Weile zu rasten.
Ihr Weg führte an Dünen und niedrigem Buschwerk vorbei in den Schatten der Bäume, wo sie an einem kleinen Bach Rast machten. Nach einer kleinen Mahlzeit vertiefte Tyndall sich in sein Logbuch, und Niah brach zu einem Erkundungsgang auf.
Bald schon entdeckte sie Spuren im Sand, und ein Haufen leerer Muschelschalen verriet ihr, daß hier ein Lagerplatz war. Wie einst vor ihr Olivia, ließ Niah sich ganz in der Nähe im Schatten nieder. Ein wohliges Gefühl der Geborgenheit überkam sie, die Augen fielen ihr zu, und sie ruhte ein wenig. Sie war schon fast eingeschlafen, als sie von lauten Rufen geweckt wurde. Eine Gruppe Aboriginefrauen winkte und rief ihr etwas zu.
Niah hatte nicht erwartet, die Frauen zu verstehen, und doch waren ihr einige Ausdrücke und Wendungen vertraut. Es waren Grußworte, die sie von ihrer
Weitere Kostenlose Bücher