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Traenenengel

Traenenengel

Titel: Traenenengel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franziska Gehm
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ist seitdem nicht abgebrochen. Sie erzählt mir da
     in letzter Zeit nicht so viel. Außerdem gibt es ja jetzt Andro.
    F: Wie lange sind die beiden eigentlich zusammen?
    A: Schätze, vier, fünf Monate.
    F: Gut, das war es dann vorerst, Frau Duve. Sollten wir noch Fragen haben, melden wir uns bei Ihnen. Und sollte Ihnen noch
     etwas einfallen, rufen Sie mich bitte an.
    ***
    »Willst du auch 'nen Kaffee, solange du wartest?« Karoline Duve kam mit einer Tasse aus der Kochnische.
    Trixi schüttelte den Kopf. Sie saß auf der Küchencouch mit dem lilafarbenen Überwurf. Auf der rechten Seite stapelten sich
     Zeitungen und Musikzeitschriften. Hinter ihr auf dem Fensterbrett reihten sich Blumentöpfe aneinander. Die Blätter einer gigantischen
     Aloe vera berührten fast ihren Hinterkopf. Nebenan im Bad lief die Dusche.
    Frau Duve setzte sich an den großen Küchentisch, stellte ihre Tasse auf einem Stapel Bücher ab und suchte in einem Durcheinander
     aus geöffneter Post, Werbeprospekten, halb leeren Gläsern, Tellern und Einkaufstüten nach etwas. Unter einem Küchentuch zog
     sie eine Packung Zigaretten hervor. Sie klappte sie auf, holte ein kleines, rotes Feuerzeug und eine Zigarette heraus und
     zündete sie an. Mit einem Seufzen blies sie den bläulichen Rauch aus und fuhr sich mit der linken Hand über die Stirn. »Er
     hat gefragt, ob mir nicht irgendetwas an Flora aufgefallen ist, der Polyp.«
    »Wer?«
    »Der Polizist. Der nach dem Kerl sucht, der Flora   ...« Die Zigarette zitterte. Ein Stück Asche fiel nach unten, landete auf einem leeren Teller. Frau Duve nahm einen Schluck
     Kaffee, dabei schloss sie einen Moment die Augen.
    Trixi fielen zum ersten Mal die dunklen Augenringevon Floras Mutter auf. Sie hatte sich heute nicht geschminkt. Trotzdem sah sie schön aus, fand Trixi. Zumindest konnte man
     sehen, wie schön sie einmal gewesen sein musste. Sie hatte noch immer kräftige, schwarzbraune Haare. Jetzt waren sie kurz,
     früher reichten sie ihr bis zur Hüfte, sahen aus wie ein dunkles, warmes Meer. Flora und Trixi hatten sich Fotos angesehen.
     Heimlich. Sie hatten sie in einer Kiste im Keller gefunden. Das war Jahre her.
    »Ist dir irgendetwas aufgefallen?«, fragte Frau Duve leise.
    Trixi dachte an letzten Mittwoch. Sie waren in der Schule gewesen. Deutsch. Englisch. Ein Test in Geo. Pipikram. Die Pause.
     Langweiliger Tratsch. Die Neue in der Parallelklasse. Irgendwelche Schmierereien am Schultor. Doppelstunde Mathe. Man hört
     sich. »Flora war ganz normal. Warum sollte sie das auch nicht sein? Sie wusste ja nicht, dass Stunden später ein Psychopath
     über sie herfallen würde.«
    »Ja. Ich weiß. Trotzdem. Hätten wir nicht irgendwas tun können?«
    »Wir hätten zufällig bei ihr sein können, aber das waren wir zufällig nicht. Zufällig war sie alleine am See.«
    »Wie wir jetzt wissen, nicht ganz alleine.« Frau Duve presste die Lippen aufeinander. Ihr Mund wurde zu einem schmalen Strich.
    Auf einmal heulte eine Windböe vor dem Fenster. Das gekippte Küchenfenster knallte direkt hinterTrixis Rücken zu und sie zuckte zusammen. Einen Moment raste ihr Herz. Dann wandte sie sich um, streckte den Arm nach dem
     Fenstergriff aus und drehte ihn um. Sie hielt kurz inne und sah auf den blaugrauen Himmel. Wie ein riesiger Tintenfisch quollen
     die dunklen Wolkenmassen immer näher. Schon am Morgen hatten sie die Sonne verschlungen, gaben sie nicht mehr frei. Aus der
     Ferne war ein Donnern zu hören. Es klang, als wolle es die schweren Wolken antreiben. Der Wind war nur der Vorbote, der die
     Straßen räumte. Wahrscheinlich regnete es jetzt wieder fünf Tage hintereinander. Der Preis für zwei Sonnentage. So ging das
     in diesem Jahr schon seit Mai.
    »Meinst du, es war dieser Zinke?«
    Trixi zögerte, dann drehte sie sich wieder um und sank auf die Couch. »Ich weiß es nicht. Ich   ... ich will mir überhaupt nicht vorstellen, wer das war.«
    »Jede Nacht sehe ich es.« Frau Duves Stimme klang dumpf, wie von weit her. »Jede Nacht das gleiche Bild, das Messer, das Blut,
     ihre Haut, ihre Augen voller Angst. Ihre Schreie, die keiner hört. Es ist, als würde ich selbst aufgeschlitzt. Jede Nacht.«
    Trixi sah auf die einstmals weißen Spitzen ihrer Turnschuhe. Auf dem linken war ein dunkelroter Fleck. Sie wandte den Blick
     ab.
    Karoline Duve zog an der Zigarette. Sie behielt den Rauch einen Moment inne, sah auf einen Punkt an der Wand, dann atmete
     sie langsam aus. »Manchmalhoffe ich, dass es

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