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Traenenengel

Traenenengel

Titel: Traenenengel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franziska Gehm
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Seit dem Tod ihres Mannes liebte sie nur noch Gott und den kleinen Garten vorm Haus.
     Bei jedem Wetter bearbeitete sie die Beete und führte Selbstgespräche, wobei sie mit einer Jätekralle herumfuchtelte und sich
     über Händchen haltende Schwule, Dessous auf der Wäscheleine oder andere Dinge aufregte, die angeblich gegen Gott und ihre
     Welt waren.
    »Die Garthoff kann dir doch nun echt egal sein«, fand Trixi.
    »Ist sie ja auch. Ich meine nur, als Beispiel.«
    Trixi dachte einen Moment nach. Sie wollte nicht in den Wunden bohren, konnte aber auch nicht lockerlassen. »Und du kannst
     dich wirklich an garnichts erinnern? Noch nicht mal, wie du zum See gekommen bist?«
    »Doch. Ich bin mit dem Fahrrad zum See gefahren. Das lag dann ja auch noch da.«
    »Alleine?«
    »Ja. Alleine.« Flora steckte die Hände in die Kimonoärmel wie in einen altmodischen Muff und legte sie übereinander.
    »Was wolltest du da, alleine?« Trixi versuchte, Floras Blick einzufangen, aber sie wich ihr aus.
    »Mann, du fragst schon wie der Basecap-Bulle. Ich wollte mal meine Ruhe haben. Nachdenken. Nachts nackt baden gehen, all so
     ein Zeug. Ist das so ungewöhnlich?«
    Trixi fand das überhaupt nicht ungewöhnlich. Sie konnte sich das sehr gut vorstellen. Eine Menge Leute konnte sie sich dabei
     gut vorstellen. Nur Flora nicht. Flora setzte sich nicht nachts alleine an einen See zum Nachdenken. Nicht die Flora, die
     Trixi seit elf Jahren kannte. Die Flora, die Trixis Pony Trauergardinen nannte und ihre Musik suizidgefährdend. »Du bist mit
     dem Rad zum See gefahren. Und dann?«
    »Dann habe ich mich ans Ufer gesetzt. Ich nehme an, ich saß eine ganze Weile da. Auf jeden Fall erinnere ich mich noch, dass
     ich den Vollmond und die Sterne gesehen habe.« Flora hielt inne, starrte vor sich hin. »Es war eine wunderschöne Nacht. Ich
     dachte, in so einer Nacht kann nichts passieren. Eswar ganz still am See. Die Wasseroberfläche hat sich nur leicht gekräuselt. Es war, als gehörte ich dazu, als würde ich nicht
     stören. Wie wenn man sich so ein Landschaftsgemälde ansieht und erst nach fünf Minuten merkt, dass da ganz klein am Rand ein
     Mensch sitzt. Verstehst du?«
    Trixi nickte. Sie wollte, dass Flora weiterredete.
    »Manchmal hat das Schilf geraschelt. Ich glaube, hinter mir in den Bäumen zur Straße hin knackten auch Zweige. Aber ich dachte
     nichts dabei, achtete nicht darauf. Ich fühlte mich sicher. Die Geräusche waren alle eins, sie gehörten dazu, zur Nacht, zu
     mir.«
    Trixi sah Flora an ohne zu blinzeln.
    Flora blickte kurz zu Trixi, dann sah sie wieder geradeaus. »Erschrocken habe ich mich nur, als das Handy auf einmal klingelte
     und meine Mutter anrief. Es war komisch. Das Klingeln und ihre Stimme passten überhaupt nicht an diesen Ort.« Flora zögerte,
     bevor sie stockend fortfuhr: »Irgendwann habe ich mich ausgezogen. Ich stand auf, wollte schwimmen gehen. Und da wusste ich
     es auf einmal.«
    Trixi sah deutlich, wie sich Floras Brustkorb hob und senkte, sie schneller atmete.
    »Da war jemand. Ganz nah. So nah, dass es zu spät war.« Floras Stimme klang gepresst und so leise, dass Trixi sie kaum verstand.
    »Was hast du gemacht? Ich meine, hast du versucht wegzurennen, hast du geschrien, irgend so was?«
    Flora schüttelte den Kopf. Noch mehr dunkle Haarsträhnen fielen vor ihre Augen. »In dem Moment, wo ich gemerkt habe, dass
     da jemand ist, wusste ich sofort, dass es zu spät war. Ich konnte nichts mehr machen.«
    »Jemand war auf einmal ganz in deiner Nähe, und dann   ...?«
    »Dann wurde alles schwarz.«
    Trixi blinzelte und lehnte sich neben Flora an die Couch, Oberarm an Oberarm. »Du weißt nicht, wie du auf die Badeinsel gekommen
     bist?«
    Flora starrte geradeaus.
    Trixi wartete einen Moment. »Hast du nicht gemerkt, wie dich jemand ins Wasser gezogen hat? Und die   ... die Schmerzen?«
    Flora zuckte zusammen. »Ich habe doch gesagt: Alles wurde schwarz. Ich weiß es nicht, verdammt. Als ich wieder zu mir kam,
     hatte ich keine Ahnung, wo ich war.« Flora presste die Lippen aufeinander. Zögerlich fuhr sie fort: »Zuerst habe ich die Kälte
     und die Schmerzen gespürt. Dann habe ich gemerkt, dass alles feucht war. Um mich herum, mein Körper selbst, dass ich nackt
     war. Ich wachte allmählich auf   ...« Flora atmete zitternd ein. »Ich wachte auf und war doch nur in einen Albtraum geraten. Ich sah den Mond über mir, dann
     hörte ich etwas. Eine Stimme. Aber ich sah niemanden. Ich war

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