Traenenengel
programmiert. Erst ein paar
Schritte davor hob sieden Blick und drehte schnell rechts ab. Beinahe stieß sie mit ein paar Jungen aus der Elften zusammen. Sie kannte sie flüchtig
vom Schulhof, vielleicht auch vom Sport. Auf jeden Fall hatte sie keine Lust, mit ihnen zu reden. Sie bemerkten Trixi sowieso
nicht, waren ins Gespräch vertieft. Trixi wich ihnen im letzten Moment aus.
»... ist doch krass, dass so was hier bei uns passiert.«
»Hätten eben den scheiß Knast nicht bauen sollen. Gab genug Demos dagegen.«
»Blödsinn! Als wäre der Knast an allem schuld. Mein Vater hat da immerhin 'nen Job. Außerdem – das mit der kleinen Duve kann
sonst wer gewesen sein. Hast du gesehen, wie die rumläuft und sich aufführt?«
»Sexy Bitch.«
»Vielleicht hat sie es ... na ja, will mal sagen, irgendwie provoziert.«
»Hast du sie noch alle, Alter?«
Trixi blieb abrupt stehen.
Jetzt bemerkten sie auch die Jungen. Sie verstummten.
Trixi drehte sich um und sah einen nach dem anderen an. »Arschlöcher.« Sie spuckte ihnen das Wort angewidert vor die Füße.
Die Jungen starrten zurück, ohne etwas zu sagen.
Trixi ging weiter. Schneller als zuvor. Am liebsten hätte sie sich die Ohren zugehalten. Oder Musikgehört. So laut, dass es ihr das Gehirn wegdröhnte. Sich unsichtbar gemacht. Alles ausgeblendet. Einfach weggebeamt.
»He, Trixi, wart mal!«
Trixi kannte die Stimme. Warm und rau. Sie blieb stehen und sah sich um. Andro kam auf sie zu.
Er berührte sie kurz an der Schulter. »Hast du was gehört? Wie geht es ihr?«
Sie musterte ihn. Er wirkte gehetzt, die Augen unstet. Sie waren fast schwarz. Überreife Brombeeren. Flora stand auf dunkle
Typen. Und Andro war so was von dunkel. Nicht seine Haut, aber alles andere: seine Haare, seine Augen, seine Stimme, seine
Vergangenheit.
Trixi verstand, was Flora an Andro gefiel. Was den meisten Mädchen an ihm gefiel. Er war unvollkommen schön. Er hatte keins
dieser Modelgesichter, die so glatt und perfekt waren, dass der Blick nirgendwo hängen bleiben konnte. Seine Nase war zu groß,
die Spitze hatte einen kleinen Knick. Die Augen standen eng beieinander. Das machte seinen schwarzen Blick noch intensiver.
»Warst du noch nicht bei ihr?«, fragte sie leise.
Er schüttelte den Kopf. »Ihre Mutter hat gesagt, sie will keinen sehen. Braucht erst mal Ruhe. Ich hab es mehrmals auf dem
Handy probiert, aber sie geht nicht ran.«
»Hab ich auch schon. Sie hat es ausgeschaltet.« Trixi strich sich mit dem Zeigefinger den blondenPony aus der Stirn. Dabei ließ sie Andro nicht aus den Augen.
»Ich weiß nur, dass sie gestern entlassen wurde. Im Krankenhaus können sie wohl nichts mehr machen. Sie muss noch ein paarmal
zur ambulanten Kontrolle. Aber ansonsten ist sie erst mal zu Hause.«
»Ich werd es heute Nachmittag einfach probieren«, beschloss Trixi. »Sie kann sich doch nicht total einigeln. Wenn sie mich
echt nicht sehen will, rede ich eben mit ihrer Mutter. Besser als gar nichts.« Trixi folgte Andros Blick. Er hatte den Kopf
halb zum kleinen Schultor gewandt, durch das gerade zwei Mädchen kamen.
»Find ich gut. Mach ich auch, wenn ich es schaffe.« Er sah wieder zu Trixi. »Hätte ich gestern schon machen sollen. Aber irgendwie ... na ja, ich wollte nicht nerven, weißt du. Vielleicht braucht Flora echt ein bisschen Zeit für sich, nach diesem abartigen
Scheiß ...«
»Vielleicht weiß Flora nach diesem abartigen Scheiß auch einfach nicht, was sie braucht. Vielleicht hat sie Angst, jemanden
zu sehen. Oder dass sie jemand so sieht. Vielleicht ist es ihr peinlich. Vielleicht wird es mit jedem Tag, den sie alleine
in ihrem Zimmer hockt, nur noch schlimmer.« Trixi sah kurz über den Schulhof. »Wenn ich noch mehr von diesem Blödsinn hier
höre und nicht selbst mit ihr spreche, werde ich auf jeden Fall verrückt. Ich muss sie sehen.«
Andro betrachtete Trixi einen Moment, als würde er sie zum ersten Mal sehen. Seine Pupillen waren jetzt vollkommen schwarz.
Dann nickte er langsam.
Es klingelte.
Schweigend gingen Andro und Trixi auf die Schultür zu. Es wirkte, als würden sie zufällig nebeneinander laufen. Das, was sie
verband, fehlte.
Trixi hatte wieder das Gefühl, dass die Menge um sie herum verändert war. Dieses Mal spürte sie es noch deutlicher. Wie immer
liefen die Schüler nach dem Klingeln auf die Schultür zu. Aber der Rhythmus war ein anderer, das Tempo verändert. Etwas zerrte
an den Füßen,
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