Traeum weiter, Mann
ist nicht das Chaos, sondern Struktur. Ohne Struktur geht gar nichts. Ohne Struktur keine Geschichte. Wenn man eine genaue Struktur hat, kommt die Kreativität von ganz alleine.«
Beeindrucktes Schweigen. Nur das Ticken der alten Schiffsuhr an der Wand ist zu hören.
Heiner nickt zufrieden und genießt die stille Anerkennung, die aus Steffs Miene spricht. Was Schöning denkt, kann er dagegen nicht erkennen. Der Makler mustert ihn abschätzend und spielt dabei mit seinem leeren Cognacglas.
»Wow«, sagt Steff schließlich, »da habe ich ja wieder was gelernt.«
Heiner nickt ihr wohlwollend lächelnd zu.
»Struktur, das ist also der Trick ...«, sagt Steff gedankenverloren, greift nach der Cognacflasche und schenkt noch einmal nach. »So, meine Herren, die Runde geht aufs Haus.«
»Und was ist mit dir?«, erkundigt sich Schöning und zeigt erstaunt auf Steffs leeres Glas.
Steff schüttelt den Kopf. »Für mich ist Schluss. Ich gehe ins Bett, habe morgen einen anstrengenden Tag. Gute Nacht.«
Damit nickt sie den beiden noch einmal freundlich zu und verschwindet nach hinten zur Rezeption.
Heiner schaut Steff hinterher, fasziniert von ihrem natürlichen, aber gerade deshalb so verführerischen Hüftschwung. Allerdings ist er auch irritiert: Wie kann sie ihn hier mit diesem unrasierten Vertreter alleine lassen?
»Was für eine Frau ...«
Heiner sieht Schönings breites Grinsen. Er lächelt gepresst und nickt.
»Ja, sehr ... nett.«
»Nett? Jetzt tun Sie mal nicht so höflich. Steff ist der Hammer! Ich habe genau gemerkt, wie Sie sie angeschaut haben.«
Heiner sieht unsicher zu dem großen Mann hoch, der ihm verschwörerisch zuzwinkert und dann kumpelhaft auf die Schulter klopft. »Und ich habe den Eindruck, dass Sie umgekehrt bei ihr auch ordentlich Eindruck gemacht haben.«
»So? Meinen Sie?«
»Aber hallo!«
Heiner lächelt verlegen. Aber er versteht den Mann nicht. Wieso schmeichelt der Kerl ihm? Was soll dieses anbiedernde Grinsen, als wenn sie beide dicke Freunde wären?
Schöning hebt das Glas. »Auf Steff!«
»Ich weiß nicht ... Ich habe eigentlich schon genug getrunken.«
»Kommen Sie, ein letzter Drink. Und dann geht’s ab in die Koje!«
Heiner zögert immer noch.
»Sagen Sie bloß, der ist Ihnen zu stark? Ist doch nur Cognac!«, sagt der Makler und beugt sich dabei mit einem provozierenden Grinsen zu ihm herunter.
Heiner rümpft die Nase. Schöning stinkt nach Zigarette. Außerdem erinnert er ihn an Carsten, einen alten Bekannten aus dem Gymnasium. Der hat ihn damals immer wieder überredet, bei irgendwelchem Blödsinn mitzumachen, Mädchen ärgern, abschreiben oder heimlich Bier auf dem Schulhof trinken. Meistens ging irgendwas schief, und sie wurden erwischt. Und wer musste dann immer zum Direktor? Heiner. Und wer stand immer lachend im Hintergrund? Carsten.
»Also, was ist?«, drängt Schöning und stößt herausfordernd an Heiners volles Glas. »Wollen Sie mich hier die ganze Nacht stehen lassen?«
Seufzend nippt Heiner an dem Cognac.
»He, nicht schummeln. Ein Schluck und weg damit!«
Heiner gibt sich einen Ruck und trinkt das Glas aus. Der Cognac schmeckt furchtbar. Er schüttelt sich.
Schöning klopft ihm lachend auf den Rücken. »Was ist denn los? Ich dachte, Ihr Schriftsteller könnt etwas vertragen? Hemingway ist doch auch nie ohne Whiskeyflasche aus dem Haus gegangen, oder?«
Zehn Minuten später liegt Heiner wieder in seinem viel zu weichen Bett. Das Fenster bleibt geschlossen. Wie sich herausstellt, hat Schöning ausgerechnet das Zimmer neben ihm. Der unbekannte Raucher vor dem Fenster – das ist der bescheuerte Makler gewesen.
Heiner wälzt sich hin und her. Der Cognac hat einen unangenehm-pelzigen Geschmack auf seiner Zunge hinterlassen. Und obwohl es nur zwei Gläser waren, hat er das Gefühl, schon beschwipst zu sein.
Zuhause trinkt er fast nie Alkohol. Ab und zu mal ein Glas Rotwein, das ist es dann aber auch. Mehr würde ihn sehr schnell sehr betrunken machen. Dann verliert Heiner die Kontrolle. Und er hasst es, die Kontrolle zu verlieren.
Er muss an diese Filmfeier denken. Einige Schauspieler hatten ihn so abgefüllt, dass er schließlich mitten auf das Buffet kotzte. Seit diesem peinlichen Erlebnis macht Heiner einen großen Bogen um jedes volle Schnapsglas. Und wenn Steff gerade nicht dabei gewesen wäre, hätte er auch jetzt nichts getrunken.
Steff. Das Bild, als sie hüftschwingend davonschwebte, geht ihm nicht aus dem Kopf. Genauso wenig wie die
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