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Traeum weiter, Mann

Traeum weiter, Mann

Titel: Traeum weiter, Mann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nebe
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Menschen, ständig das Gedränge und der Stress, nee, da ist es hier doch viel schöner.«
    Heiner nickt nur.
    »Natürlich is hier nicht so viel los wie da, ausgehtechnisch, mein ich. Ich war vor’n paar Monaten mal in St. Pauli, Reeperbahn und so. Das war schon beeindruckend, die ganzen Lichter, die Schiffe am Hafen. Und die schicken Mädchen natürlich auch. Da kann man als erwachsener Mann schon schwach werden, Sie verstehen, was ich meine?«
    Er grinst breit über das ganze Gesicht und stößt Heiner kumpelig in die Seite, schon zum dritten Mal während dieser Fahrt.
    »Nicht, dass Sie mich falsch verstehen, da ist nichts gelaufen. Ich habe schließlich Frau und Kinder, aber gucken wird ja wohl erlaubt sein, oder?«
    Wieder dieses Grinsen.
    »Aber da waren schon süße Schnittchen dabei, da staunt man ja schon, wenn man hier so vom Land kommt. Und wie die einen angucken, die wissen schon, wie die einen richtig juckig machen. Aber das war’s dann auch. Nur gucken, mehr will ich ja gar nicht.«
    Und mehr kannst du auch nicht, denkt Heiner und sieht abschätzig zu dem Fleischberg neben sich, aus dem Arme und Beine wie kleine, dünne Tentakel herausragen, mit dem einzigen Zweck, das Lenkrad zu bewegen und das Gaspedal zu drücken. Heiner bezweifelt, dass er sich außerhalb seines Taxis ohne Hilfe bewegen kann.
    Der Mann merkt endlich, dass Heiner nicht nach Konversation mit ihm ist, und sieht ihn leicht eingeschnappt an.
    »Na ja, aber abgesehen davon«, muffelt er, »wie ich schon sagte, Hamburg ist wirklich eine schöne Stadt.«
    »O ja, das ist sie«, gibt Heiner ihm recht und sieht durch die verschmierten Scheiben traurig hinaus auf die dunkelverregneten Felder.
    Was für eine trübe Landschaft! Kaum vorstellbar, dass das Meer ganz in der Nähe ist. Anders als an der Westküste Schleswig-Holsteins, wo die Marschlandschaft mit ihren grünen Wiesen, Deichen und am Ende auch Dünen Lust auf die Nordsee macht, wirkt die holsteinische Landschaft, die draußen an ihm vorbeifliegt, völlig beliebig. Die Wälder und Felder könnten überall in Deutschland sein, nur dass man hier eben auf einmal am Meer stehen kann.
    Was treibt er hier eigentlich?
    Er hat in dieser gottverlassenen Ödnis doch gar nichts zu suchen. Muss er sich wirklich mit diesem Makler herumschlagen? Sich von ihm zu idiotischen Autorennen provozieren lassen? Sich mit nervigen Bauern streiten und von rotzfrechen Automechanikern beleidigen lassen?
    Nein, muss er nicht. Das hier ist nicht seine Welt. Er ist ein Stadtmensch. Er gehört nach Hamburg, an die Alster, den Jungfernstieg, ins Literaturcafé, an den Hafen. Dort ist sein Zuhause, sein Lieblingsitaliener, dort leben seine Freunde, seine –
    »Was wird denn jetzt mit Ihrem Wagen?«, holt ihn der Taxifahrer aus seinen Gedanken. Heiner sieht ihn verständnislos an. »So wie der aussah, fährt der doch keinen Meter mehr!«
    »Die Werkstatt will ihn sich morgen mal genau anschauen. Dann sagen sie mir, ob es Totalschaden ist oder nicht.«
    »Und wenn ja? Ich hoffe, Sie haben eine gute Versicherung?«
    Heiner verzieht das Gesicht und schüttelt den Kopf. Er hat nicht mal Teilkasko und müsste die Reparatur komplett selbst bezahlen, das hat man ihm in der Werkstatt, in die ihn der Pannendienst geschleppt hat, schon erklärt. Die Frage ist, ob sich die Reparatur bei dem alten Golf überhaupt noch lohnt.
    Aber das, was mit seinem Auto passiert ist, ist ja nicht das Schlimmste.
    Was Steff wohl gerade von ihm denkt?
    Sein schlechtes Gewissen über das, was auf dieser Landstraße geschehen ist, meldet sich wie ein brodelndes Gift in seiner Magengrube. Er mag gar nicht daran denken, was für einen erbärmlichen Eindruck er auf diesem matschigen Acker gemacht haben muss. Steff wird ihn jetzt für einen weinerlichen Blödmann halten.
    Er erinnert sich daran, wie stumm und vorwurfsvoll sie ihn angestarrt hat, bevor sie in Schönings Landrover gestiegen ist.
    Auch ihr verlegendes Lächeln an der Ampel fällt ihm jetzt wieder ein. Heiner schließt schmerzerfüllt die Augen. Kann es sein, dass sich Steff vielleicht doch mehr zu diesem nach Alkohol stinkenden Monster hingezogen fühlt? Dass er einem Phantom hinterherläuft? Dass Steff sich vielleicht gar nicht für ihn interessiert?
    Er denkt an die letzte Nacht und daran, wie Steff neben ihm eingeschlafen ist. Da war sie ihm so nah wie sonst kein Mensch auf der Welt. Aber was hat sie in diesem Moment in ihm gesehen? Den genialen Künstler? Oder den begehrenswerten

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