Traeum weiter, Mann
Stunden bis in den späten Vormittag hinein durchgeschlafen, das hat gut getan. Eigentlich wollte er noch am Vorabend Deuters in seinem Pensionszimmer stellen, aber er fand, dass er alle Zeit der Welt hatte. Und nach dem Aufwachen kam ein Anruf von Holger Lüders dazwischen, dem Sheriff seines Heimatdorfes: Jugendliche seien in sein Haus eingedrungen und hätten erheblichen Schaden angerichtet.
Es regnet so heftig, dass die Scheibenwischer auch auf höchster Stufe Mühe haben, die Scheibe freizubekommen. Gerald ist hochgradig angespannt, das Haus ist ihm nicht egal, aber im Augenblick wäre die Sache mit Deuters eigentlich wichtiger. Er hofft, dass es schnell geht, dann bekommt er heute Abend beides hin. Der Landrover kommt etwas ins Rutschen, als er in die lange Einfahrt zu seinem Haus einbiegt. Die schweren Baufahrzeuge haben große Löcher in die Fahrspur gerissen, der Wagen rumpelt hin und her, wild wuchernde Büsche und Sträucher schaben an der Karosserie entlang. Neben dem Eingang seines Hauses parkt, wie angekündigt, der Polizei-Golf, der innen beleuchtet ist. Gerald sprintet durch den Regen zur Beifahrertür, reißt sie auf und lässt sich auf den Sitz fallen.
»Moin«, grüßt Holger düster, als sei er zu einer Beerdigung erschienen. Gerald und er waren von der Grundschule bis zum Abschluss in einer Klasse. »Holgi« Lüders war ein fanatischer Sportler und hat als Zehnkämpfer mal den zweiten Platz in der Landesmeisterschaft aller holsteinischen Schulen gewonnen. Gerald hingegen fand es damals am schönsten, einfach abzuhängen und Musik zu hören, den Sport entdeckte er erst viel später für sich. Inzwischen hat Holgi reichlich Fett angesetzt, und seine blonden Haare gehen ihm an der Stirn langsam aus. Sie haben in der Schule nie viel miteinander zu tun gehabt, aber da sie beide im Dorf geblieben sind, haben sie sich auch nie aus den Augen verloren.
»Was ist los, Alter?«, versucht Gerald Holgis Blick aufzulockern.
»Schau es dir selbst an ...«
Holgi nimmt einen starken Handscheinwerfer in die Hand und leuchtet durch die Frontscheibe nach draußen. Das halbe Haus ist sofort erhellt.
»Zeig mal das Dach«, bittet Gerald.
Holgi zielt nach oben, und Gerald seufzt zufrieden auf. Die Dachdecker sind fast fertig, nur ein tischtuchgroßes Stück Plastikfolie verdeckt den kleinen Teil, der noch gemacht werden muss. Hoffentlich hält alles dem Regen stand. Die beiden steigen aus und stapfen über den aufgeweichten Boden auf die Haustür zu, die sie nicht öffnen brauchen: Sie ist aufgebrochen worden. Holgi geht vor, weil er den Scheinwerfer hat. Voller düsterer Vorahnung tapst Gerald hinter ihm in das leere Geisterhaus.
»Strom soll morgen fertig werden«, raunt Gerald leise, »dann läuft auch der Alarm wieder.«
Er wundert sich plötzlich selbst, warum er flüstert. Holgi leuchtet in den großen Raum mit dem Whirlpool. Es hat sich einiges getan, das Fußbodenparkett ist fast fertig verlegt, die Wände sind glatt verputzt, an einigen Stellen hängen lose graue Kabelenden für die Steckdosen heraus. Jetzt fehlen im Prinzip nur noch die Maler und der Elektriker.
So weit, so gut.
Was schlecht aussieht, ist das Parkett, das vollständig mit Glasscherben übersät ist, der Boden ist überall zerkratzt! Es riecht zudem nach Holzrauch (als wenn er davon nicht genug gehabt hätte!), im roh verputzten Kamin erkennt Gerald eine schwarz verkohlte Feuerstelle, teilweise ist auch das Parkett angekokelt.
»Die haben gehaust wie die Vandalen«, stellt Holgi fest.
»Weiß man, wer es war?«
»Wahrscheinlich die Kieler.«
»Beweise?«
»Nicht direkt, aber es ist ganz klar.«
Die »Kieler« sind eine betreute Wohngemeinschaft von schwer erziehbaren Jugendlichen aus den Problemvierteln der Landeshauptstadt. Für die Dorfbewohner kommt mit ihnen regelmäßig das Böse in ihre heile Welt. Dass das so nicht ganz stimmt, sondern dass einige Dörfler im Windschatten der »Bösen« ihre eigenen Taten begehen, weiß Holgi natürlich. Aber egal wen er erwischt, kein Jugendlicher landet bei ihm vor dem Richter, das muss man ihm lassen. Holgi schleppt sie alle zum Bürgermeister, der verurteilt sie zu Arbeiten in der Gemeinde und verhindert so einen Eintrag in die Strafakte. Nur wenn jemand zu spät zur Strafarbeit oder gar nicht kommt, landet sie oder er vor Gericht. Da das alle wissen, kommt es äußerst selten vor.
»Und jetzt?«
»Ich kann nicht 24 Stunden hier sein. Das muss eine Wachfirma
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