Traeum weiter, Mann
auftaucht. Diese Viecher beißen zu und lassen nie wieder los, das weiß Gerald. »Wie erbärmlich, von dem Hund zerfleischt zu werden«, denkt er noch.
Dann schnappt das Tier zu.
Zum Glück erwischt der Hund mit seinen scharfen Zähnen nur das rechte Hosenbein seiner Jeans, die von oben bis unten aufreißt. Gerald schafft es gerade so bis zu seinem Wagen und sackt über dem Lenkrad zusammen. Draußen bellt der Köter wie wahnsinnig und springt immer wieder krachend gegen die Tür. Geralds Körper verlangt nach mehr Sauerstoff, als er einatmen kann. Er schnappt nach Luft, die es nicht gibt. Wahrscheinlich wird er gleich ohnmächtig oder bekommt einen Infarkt.
Nichts von dem passiert.
Stattdessen segelt sein Körper langsam wieder Richtung Normalnull. Auf der anderen Seite des Landrovers taucht der Hundebesitzer auf und schreit: »Arschloch! Ich habe dein Kennzeichen!«
Soll er.
Gerald startet den Motor und gibt Gas.
Der Hund springt vor seine Motorhaube. Für dieses Viech wird er nicht bremsen! Was der Hund offensichtlich wittert, denn er springt im letzten Moment zur Seite. Gerald fasst sich ans nackte Bein. Ein warmer Blutstrahl kommt aus seiner Wade, das hat er gar nicht gemerkt. Scheiße, welche Krankheiten können Hunde denn übertragen? Tollwut, Keime, wer weiß was noch alles? Wie lange ist seine letzte Impfung gegen Wundstarrkrampf her? Gerald bekommt Panik, er muss sofort ins Krankenhaus!
Plötzlich leuchtet an einer Ecke ein beleuchtetes Apothekenzeichen auf. Er geht sofort in die Eisen. Die Apotheke hat Notdienst, er klingelt Sturm und lässt sich von der jungen Pharmazeutin ein Desinfektionsmittel geben. Gerald versprüht die halbe Großpackung auf die Wunde, bis es im ganzen Innenraum des Landrovers nach dem Mittel riecht, und verbindet die Wunde. Jetzt erst erkennt er, dass sie relativ klein ist und nicht tief.
Auf der Autobahn hat er sich wieder einigermaßen erholt. Dazu hat auch die kleine Wodkaflasche beigetragen, die er an der Nachttanke besorgt hat. Die Verkäufer dort haben ihn misstrauisch nach seinem zerfetzten Hosenbein gefragt, als er vor der Kasse stand, aber er hat nur abgewinkt und alles weggelächelt. Auf dem ersten Parkplatz hat er die Flasche auf Ex gekippt. Wenn die Polizei ihn als Spanner verhaften sollte, spielt Alkohol am Steuer auch keine Rolle mehr.
Anderseits: Was hat er schon getan? – Gar nichts!
Gerald fletscht die Zähne, als eine leichte Schmerzwelle in seine Wade fährt. Er wird in den nächsten Tagen noch einmal in den Achternweg zurückkehren und sich bei den Nachbarn umhören, bis er weiß, wie Deuters’ Pseudonym lautet.
Als er den Landrover auf dem Parkplatz vor der Pension Möwenwind parkt, ist es Mitternacht. Er riecht die Ostsee, sie riecht wie Steff, frisch und salzig. Der Wodka hat sein Werk vollbracht, Gerald fühlt sich schmerzfrei und prächtig und geht hinein. Gleich wird er Deuters wecken und ihm brühwarm erzählen, wo er war.
Das wird genügen.
Ein Fest wird das!
An der Theke brennt ein Nachtlicht. Geralds Blick fällt auf die schiffsförmige Sammelbüchse der »Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger«. Er weiß selbst nicht wieso, aber er fischt mit schiefem Lächeln ein Zwei-Euro-Stück aus seinem Portemonnaie und wirft sie hinein. Mit einem satten Klack fällt es auf den Boden zu den anderen Münzen. Plötzlich räuspert sich hinter Gerald eine weibliche Stimme, und Frau Schmidt tritt in den Lichtkegel. Seine zukünftige Schwiegermutter trägt einen bequemen grauen Hausanzug. Müde sieht sie aus, sie hat wohl schon geschlafen.
»Hallo, Frau Schmidt.« Gerald strahlt.
»Ich möchte, dass Sie morgen die Pension verlassen«, erklärt sie ganz ruhig. »Herrn Deuters habe ich dasselbe mitgeteilt.«
Sagt es, dreht sich um und verschwindet im Dunkeln.
Gerald starrt ihr wie vor den Kopf geschlagen hinterher: Weiß Steff davon?
21
Frauenversteher
Heiner starrt mit trüben Augen hinaus auf das dunkle Meer, das sich vor ihm glucksend wie ein großer Teerteppich ausbreitet. Die Wolken hängen tief über dem Wasser. Heiner kann den Horizont nicht erkennen, weiß nicht, wo das Wasser aufhört und der schwarze Nachthimmel beginnt. Nur selten kann er in einem Wolkenloch einen Stern leuchten sehen. Die Ostsee selbst ist völlig leer. Kein Schiff ist unterwegs, kein noch so kleines Licht blinkt, alles schläft.
Heiner sitzt auf dem Rest eines alten Ruderboots, das der Sand schon fast komplett verschluckt hat. Als er traurig Luft holt, knirscht
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