Traeume ernten
ihre Aufgaben für heute in Empfang. Niemand spricht. SchlieÃlich bin ich an der Reihe. Die Lehrerin wählt aus einer dicken Mappe ein vorgedrucktes Blatt mit Schreibübungen aus: Il faut que je ⦠(aller). Sâil te plaît ⦠raissonnable (être). Ah, heute geht es um den Konjunktiv. Ich gehe zurück an meinen Tisch, fülle alles aus, gebe es der Lehrerin zur Korrektur, die alle Antworten mit einem roten Stift abhakt. Dann bekomme ich ein Blatt mit neuen Ãbungen. So sieht er aus, der kostenlose Französischunterricht für Ausländer.
Am Abend â die Kinder liegen schon im Bett â zwinge ich mich so wie jeden Tag dazu, alle Nachrichten im Fernsehen anzusehen. Es wird schnell gesprochen, und ich fühle mich wieder wie das Kind, das voller Ehrfurcht mit seinem Vater die Nachrichten schaut. Jedes Wort, das ich nicht verstehe, führt mir meine Unzulänglichkeit vor Augen. Gleichzeitig gibt mir eine Hoffnung Halt: Wenn ich erst einmal fehlerfrei Französisch spreche â¦
Aus den Erbsen im Weingarten sind inzwischen richtige Trauben geworden. Bruno hat ein groÃes Metallgestell hinter den Traktor gehängt, mit dem er nun langsam zwischen den Reihen hindurchfährt. »Er pflügt, oder?«, frage ich Siebe. »Labourer« , erläutert Bruno später â wieder eine neue Vokabel gelernt. Mein Beitrag zu all den Aktivitäten ist vor allem administrativer Art. Während drauÃen die Sonne scheint, sitze ich einsam neben einem groÃen Stapel Kartons im Wohnzimmer von Madame Ros. Auf zwei Stühlen liegt eine Zimmertür, die wir irgendwo im Haus aus den Angeln gehoben haben â mein Schreibtisch.
Weder Aad noch ich hatten länger darüber nachgedacht, dass der Besitz eines Betriebes in Frankreich zur Erledigung einer schockierenden Menge an Papierkram verpflichtet. Eine Zeit lang hatte ich auch in den Niederlanden selbstständig gearbeitet, ich hatte ein Beratungsbüro für Kommunikationstrategien. Das war ein Witz gegen das hier, die vielen Behörden, die sich melden und nach Unternehmenskennziffern, der Grundfläche und den Sozialdaten der Arbeitnehmer fragen. Als für das Weingut eine Siret-Nummer angefordert wird, rufe ich eine Behörde an, die mich an eine andere Behörde verweist, die wiederum betont, nichts tun zu können, solange wir keine TVA -Nummer vorlegen, die wir allerdings auch noch nicht erhalten haben. Ich sitze lange Vormittage, manchmal ganze Tage am Telefon, wobei ich schmerzhaft an die Grenzen meiner Französischkenntnisse stoÃe. Täglich kommen neue Rechnungen herein, ein unordentlicher Berg, der allmählich den ganzen Tisch bedeckt. Immer mehr Schecks müssen ausgestellt werden, daher fange ich an, in ordentlicher Handschrift das Kassenbuch zu führen, das Simone mir geschenkt hat.
Ich gebe mein Letztes, um den ständig weiterkochenden Bürokratiebrei zurückzudrängen, aber ich fühle, wie Niedergeschlagenheit von mir Besitz ergreift â wie dumm, dass ich nicht vorher daran gedacht habe, dass irgendjemand auch diese Arbeit erledigen muss.
Eines Morgens lehnt sich Aad kopfschüttelnd gegen den Türpfosten. »Was für eine Arbeit«, sagt er und fährt fort: »Tja, ich kann nicht gut mit Zahlen umgehen, ich bin eher kreativ.« Dann dreht er sich um und will in die Sonne hinausgehen. Es ist die Bemerkung, die das Fass zum Ãberlaufen bringt: »Aha, der Herr ist also kreativ!«, explodiere ich. »Und ich gebe den beschränkten Buchhalter? Das ist nicht dein Ernst! Ich hab das hier auch noch nie gemacht.«
Die Diskussion geht den ganzen Tag so weiter und wird aus praktischen Gründen nicht zu Ende geführt. Aad muss gleich nach dem Wochenende wieder zurück in die Niederlande. Natürlich werde ich mich weiter um den Papierkram kümmern. Ich versuche, den unschönen Gedanken zu verdrängen, dass die Würfel schon gefallen sind.
Es wird Sommer, Aad ist viel zu Hause. Wir fahren an den Strand, entdecken ein kleines Restaurant an einem wilden Fluss und gehen dort jeden Abend mit den Kindern essen.
Genau aus diesem Grund wollten wir doch hier leben, denke ich.
Als die letzten Trauben ihre grüne Farbe verloren und sich blasslila gefärbt haben, stellt uns Siebe Mia vor, eine kleine, stämmige Frau Anfang 30 mit kurzem Haar und einer burschikosen, breitbeinigen Art zu laufen. Wie ein Anfänger unter den Schauspielern in einem
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