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Traeume ernten

Traeume ernten

Titel: Traeume ernten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lidewij van Wilgen
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schlechten Western führt sie alle Tätigkeiten sehr nachdrücklich aus: Stühle schiebt sie mit einem heftigen Ruck nach hinten, die Flasche Bier stellt sie hart auf den Tisch zurück. Sie soll Siebe als Assistentin zur Hand gehen, eine ernste Angelegenheit, mit der nicht zu spaßen ist.
    Ihre wichtigste Aufgabe besteht darin, den Weinkeller für die Ernte vorzubereiten. Gemeinsam mit Bruno schiebt sie Leitern hin und her, klettert in Fässer und verschwindet hinter großen Wolken Wasserdampfs. Ich bekomme Lust, meine Arbeitskleidung anzuziehen und auch auf diese Leitern zu klettern, Schläuche zu schleppen, endlich körperlich zu arbeiten. Aber da ist Laartje, die sich mit ihren molligen Armen fest an mich klammert und mich ganz sicher nicht mehr loslassen will. Manchmal stelle ich sie hinter einen hölzernen Laufwagen, hinter dem sie ihre ersten Schritte machen kann. Die Räder fahren sich knirschend im tiefen Kies fest, der rund um das Haus liegt. Das wütende Baby wirft sich schreiend auf den Boden. Ich klemme sie mir unter den einen Arm, die Karre unter den anderen, und gehe zu dem Sandweg, der an den Weinfeldern entlangführt. Kurz funktioniert es, genau drei Schritte weit, dann landen Kind und Wagen in der Böschung des ausgefahrenen Wegs. Laartje ist so überrascht, dass sie noch nicht einmal dazu kommt zu weinen, und ich gehe schicksalsergeben zurück zu der kleinen Terrasse neben dem Haus. Noch nie habe ich ein solch großes Stück Land besessen, aber meine Welt beschränkt sich auf einen Streifen ausgeblichener rosa und beiger Fliesen von sechs mal zwei Metern.
    Bereits Ende Mai hatte Siebe mir aufgetragen, das Team für die Ernte zusammenzustellen. »Ich will acht Pflücker, zwei Träger, zwei Mann am Sortiertisch … Vielleicht kannst du im Dorf rumfragen? Aber ich warne dich, das wird nicht einfach.«
    Ich frage Bruno in der Annahme, dass er sicher eine Anzahl arbeitsloser Cousins und Nachbarn im Angebot hat, doch er schaut mich nur kopfschüttelnd an: »Glauben Sie wirklich, dass es hier jemanden gibt, der arbeiten möchte? Sie wissen doch inzwischen, wie die Franzosen sind. Schmarotzer sind sie, die reißen sich kein Bein aus.«
    Als ich mich genervt abwende, wechselt er das Thema. »Aber wissen Sie denn nicht, dass niemand mehr von Hand erntet? Früher, ja, früher war das anders. Damals kamen die Spanier und die Zigeuner. Ende August lagerten sie schon überall am Weg. Man musste sie nur ansprechen, und schon legten sie los – und zwar gerne. Es war ein Fest, der wichtigste Monat im Jahr. Aber inzwischen hat jeder eine Erntemaschine. Wer hat noch Lust, mit der Hand zu pflücken? Es ist nun einmal so, wie es ist – c’est comme ça .« Mit diesen Worten geht Bruno nach draußen, klettert auf seinen Traktor und zuckelt davon. Ich schaue ihm nach und frage mich, ob es das ist, was das Leben auf dem Land bewirkt, dass 25-jährige Jungen wie alte, verbrauchte Männer reden.
    Glücklicherweise bin ich Niederländerin. Ich steige in mein Auto und fahre zum Tabakladen, wo ich die Zeitung »Midi Libre« aus dem Regal nehme.
    Hinter dem Tresen sitzt ein schweigsamer, bleicher Mann, der mich inzwischen schon dutzende Male hat hereinkommen sehen. Trotzdem behandelt er mich noch immer wie eine Touristin. Und ich selber bin auch noch nicht so versiert, was die herzlichen Einzeiler angeht. Bonjour und au revoir , so viel zum Thema Integration.
    Zu Hause breite ich die Zeitung auf dem Gartentisch aus und suche den Anzeigenteil. Auf ein Schmierblatt schreibe ich in großen Buchstaben »Helfer für Weinlese gesucht« und einen kurzen Text mit dem Namen des Dorfs und unserer Telefonnummer. Zwei Tage später steht meine Annonce in der Zeitung. »Das funktioniert schon gar nicht«, sagt Bruno, wobei er sich mit einem überheblichen Lachen gegen den Türpfosten fallen lässt. »Niemand macht das so.« Kopfschüttelnd fügt er hinzu: »Nun ja, Sie sind ja auch Ausländerin.«
    An diesem Samstag ist Aad wieder bei uns. Er hat Kaffee gekocht und Milch aufgeschäumt. Wir sitzen draußen am großen Tisch und lesen die dicken Wochenendausgaben des » NRC Handelsblad« und der »Volkskrant«, die er aus den Niederlanden mitgebracht hat. Zwischen den Zeitungen liegt das Telefon, und als es klingelt, reicht Aad es mir seufzend: »Wieder ein Erntehelfer …«
    In nur zwei

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