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Traeume ernten

Traeume ernten

Titel: Traeume ernten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lidewij van Wilgen
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während es zwischen den eng aneinandergebauten Häusern der circulade kühl bleibt. An den Häusern, die an der halbrunden, sanft nach unten führenden Straße mit dem alten Steinpflaster stehen, wurden über Generationen hinweg immer wieder Veränderungen vorgenommen. An jahrhundertealten Fassaden hat man geschmacklose kleine Balkone mit Metallgeländern geklebt, unter einem gemeißelten Bogen aus hellem Naturstein prangt eine Plastiktür aus dem Baumarkt. Die Inschrift »1750«, die darüber angebracht ist, wird dennoch gehegt und gepflegt.
    Marijns Klassenkameradin Claire wohnt in einem mit trostlosem Zementbeton verputzten Haus. Hinter einer dicken braunen Tür mit großen Holznägeln führt eine steile Treppe aus gelbgemusterten Marmorplatten in die erste Etage. In einer dunklen Ecke, auf einer Couchgarnitur aus geblümtem Velours, liegen ein jüngerer Brüder von Claire und eine Schwester und schauen sich Zeichentrickfilme an. Er ist laut, dieser Fernseher, und aus dem Augenwinkel sehe ich, wie ein unscharfes Kaninchen hinter einer Katze herrennt.
    Ich werde in der Küche empfangen, in der es nur ein Fenster gibt. Mitten im Raum steht ein Tisch mit einer Plastiktischdecke, darum herum Stühle, von denen die Resopalbeschichtung absplittert. Unter dem Stuckkamin steht ein kleiner Gasherd, darauf eine orange Pfanne mit einem durchsichtigen Deckel, in der ein Stück Fleisch vor sich hin brutzelt. Ich schaue mich um, alles in diesem Raum scheint schon ewig hier zu sein. Es ist eine Einrichtung, wie man sie auf den griechischen Inseln manchmal zwischen den wehenden Plastikstreifen eines Fliegenvorhangs hindurch erblickt.
    Â»Vous voulez un café?« , fragt Claires Mutter. Als ich ja sage, nimmt sie eine Kanne mit altem Kaffee von der Maschine und gießt ihn in eine Tasse, die sie in die Mikrowelle stellt. Selber trinkt sie nichts.
    Â»Wie wunderbar kühl es hier im Haus ist!«, sage ich. Sie nickt.
    Â»Wohnen Sie schon lange hier?«
    Â»15 Jahre.«
    Â»Gefällt es Ihnen im Dorf?«
    Â» Oui .«
    Ich stelle noch ein paar Fragen über ihre Kinder, den Beruf ihres Mannes. Sie schaut mich wohlwollend an, lacht freundlich, während ein kurzes Ja oder Nein ein erneutes Schweigen ankündigt. Harte Arbeit, denke ich.
    Ich erzähle ein wenig von uns, von Marijn, die noch immer nicht spricht, sage, dass ich froh bin, dass die anderen Kinder sie trotzdem akzeptieren. » Oui. « Claires Mutter nickt. Ich bin erleichtert, als sie schließlich die Tasche mit den Schuhen holt: gute Wanderschuhe in Fienes Größe, ein Paar ziemlich hässliche grüne Plastiksandalen, Slipper, die so weit heruntergelaufen sind, dass man sie sofort wegwerfen kann. Ich bedanke mich herzlich und bringe am nächsten Tag einen Apfelkuchen vom Bäcker vorbei. Von da an fällt die Begrüßung am Schulzaun ein wenig länger aus.
    Aad ist schon seit einigen Tagen nicht mehr in Frankreich – vor dem Umzug hatte er seinen Leitungsposten in den Niederlanden gekündigt, inzwischen hat er jedoch auf freiberuflicher Basis wieder ein großes Projekt für seine frühere Abteilung angenommen. In den kommenden Wochen wird er daher nur an den Wochenenden bei uns sein. Es ist sinnvoll, dass er zurückgeht, denke ich, wenn die Kinder abends im Bett liegen und ich unten das Geschirr spüle, all die neuen Gerätschaften haben uns sehr viel Geld gekostet, und auf diese Weise können wir zumindest ein paar finanzielle Rücklagen aufbauen. Aber ich erinnere mich auch an unser Abschiedsfest, das Gefühl der Zusammengehörigkeit bei unserer Abreise. Es fühlt sich seltsam an, alleine hier zu sein, während Aad in unser altes Leben zurückkehrt.
    Gerade habe ich mir die Hände abgetrocknet, als das Telefon klingelt. Es ist Aad. Er ruft aus den Niederlanden an. »He, Grüße von Nicole und Thijs. Wir essen gerade was Leckeres. Wie geht’s dir da drüben?«
    Ich will gerade antworten, als ich draußen ein knackendes Geräusch höre. »Entschuldige, ich kann gerade nicht sprechen, ich rufe dich später zurück …«, sage ich und lege das Telefon beiseite. Ich lausche mit angehaltenem Atem. Da, da ist es wieder. Ich knipse das Licht aus, drücke mich gegen die Wand und warte, ob sich etwas bewegt. Angenommen, jemand schleicht ums Haus? Angenommen, jemand will ins Haus, was mache ich dann? Die alten Fenster

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