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Traeume ernten

Traeume ernten

Titel: Traeume ernten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lidewij van Wilgen
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des vergangenen Sommers. Den Strand aus grobem Kies gibt es nicht mehr, die hohen Felsen, von denen aus die Jugendlichen ins Wasser sprangen, sind fast völlig unter den aufgestauten Wassermassen verschwunden. Die schäumenden Fluten schleifen abgebrochene Äste mit sich, ein großer Baumstamm schießt durch die Stromschnellen und schlägt dann gegen einen Felsen.
    Das Haus, dessen Schlüssel wir von der Ferienhausvermittlung »Moerland« bekommen haben, liegt nicht weit vom Fluss entfernt unter einer großen Gruppe dunkler Pinien. Hier werden wir also leben, solange unser Haus auf dem Weingut nicht bewohnbar ist. Der Boden federt unter meinen Schritten, es riecht nach feuchter Erde, auf dem Holz für den offenen Kamin liegt eine dünne Schicht graugrünen Mooses. Das Gebäude muss aus den Siebzigerjahren sein, die Außenwände sind mit knubbeligem weißen Putz überzogen, dunkelbraun gebeiztes Holz bestimmt den Ton. Die kahlen Beete sind mit feucht glänzenden Bahnschwellen eingefasst.
    Â»Kommt Mädels, wir schauen uns mal drinnen um!« Ich öffne dunkelrot gestrichene Metall-Fensterläden und eine Tür mit gelbem Strukturglas. Muffige Kälte schlägt uns entgegen – es ist dunkel und feucht wie in einer Grotte. »Es steht natürlich schon eine ganze Zeit leer«, sagt Aad, während er schnell das nächstgelegene Fenster öffnet. Im einfallenden grauen Licht werden die Umrisse eines großen offenen Kamins aus gemauertem Backstein sichtbar. »Ah! Jetzt mache ich erst mal ein schönes Feuerchen für uns!«, sagt Aad.
    Während er nach draußen geht, um Holz zu holen, schaue ich mir mit den Mädchen die Fotos und Bastelarbeiten an, die an den Wänden hängen. In verschiedenen Konstellationen und Lebensphasen zeigen sie uns immer dieselben Menschen: Die junge Frau im Jersey Jumper auf einem der ersten Fotos sitzt als sportliche 60-Jährige auf derselben Terrasse und hält ihren ersten Enkel auf dem Schoß. Und immer ist Sommer.
    Aad hantiert am offenen Kamin, ich richte mit den Mädchen eine Spielecke ein, hänge Kleider in die Schränke und meditiere zum Thema »Gemütlichkeit«. Alle elektrischen Heizungen, die ich im Haus finden kann, stelle ich auf zehn, während Aad den offenen Kamin aufgibt. »Der zieht nie«, sagt er. Er redet über die Luftzufuhr, über Konstruktionsfehler. Wir rufen »Moerland« an, doch die Mitarbeiter können uns auch nicht helfen.
    Glücklicherweise gibt es neben der Brücke ein Restaurant, das für seinen offenen Kamin berühmt ist, der den ganzen Winter über brennt: »Auberge de Réals«. Mit seinen Tischen aus grobem Holz, dem in Bahnschwellen eingefassten Kamin und den gerahmten Fotos vom Bauernleben vergangener Tage ist dieser Ort wirklich einladend wie eine Herberge. Vor kaum 100 Jahren lebten die Menschen noch mit ihrem Vieh unter einem Dach. Ich stelle mir den dampfenden warmen Körper einer Kuh neben dem Tisch vor, und plötzlich kann ich mich mit dieser Vorstellung anfreunden.
    Als wir zurückkommen, haben die Öfen endlich die schlimmste Kälte aus dem Haus verjagt. Wir gehen sehr früh ins Bett, ich decke die Mädchen mit einer besonders warmen Decke zu und kuschele mich dicht an Aad. Alles wird gut, denke ich.
    Stattdessen wird es Montag. Aad bricht in die Niederlande auf. Wieder bleibe ich mit den Mädchen alleine zurück, dieses Mal in dem kleinen Haus, das durch den Pinienwald in ein permanentes Halbdunkel gehüllt wird. Vormittags bringe ich Laartje zum Babysitter, ich muss auf das Weingut, um die Verwaltung zu erledigen. Inzwischen laufen fünf Marokkaner durch das Haus. Zwei von ihnen sind damit beschäftigt, mit einem Bohrhammer eine große Öffnung in die Nordwand zu schlagen, die bereits recht groß ist, als ich hereinkomme. Während ich mich mühsam durch den Stapel Papiere wühle, geht das Dröhnen unvermindert weiter. Die kleinen Staubkörnchen auf dem Schreibtisch zittern im Rhythmus mit, ich habe das Gefühl, dass für meinem Kopf dasselbe gilt. Die Temperatur in dem Raum, in dem ich arbeite, muss um den Gefrierpunkt liegen, auf einem Glas Wasser in der Ecke hat sich eine dünne Eisschicht gebildet.
    Seufzend werfe ich meine Unterlagen in einen Karton, ich werde in unserem Häuschen weiterarbeiten. Als ich an den Flügeltüren vorbeigehe, hat das Dröhnen gerade

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